Kümmernis

Kümmernis
Er ist wie die hl. Kümmernis: er kümmert sich um alles, er versucht, überall einzugreifen, macht fremde Sorgen zu seinen eigenen. Die im wesentlichen auf das südostdeutsche Sprachgebiet beschränkte Redensart spielt scherzhaft auf die nicht kanonisierte Volksheilige an, deren volkstümlich gedeuteter Name auf ihre spezielle Hilfe bei Kummer und Not hinzuweisen scheint. Ebenso wortspielerisch ist der redensartliche Vergleich Aussehen wie die hl. Kümmernis: betrübt, bekümmert blicken. Die Wendung bezieht sich auf ihr qualvolles, mehrere Tage dauerndes Martyrium. Die älteste Legende von dieser hl. Jungfrau, die verschiedene Namen besitzt (Wilgefortis, Liberata, Ontkommer, Hülpe usw.), stammt aus den Niederlanden, wo aus Steenbergen seit dem 15. Jahrhundert Wunder von ihrer Hilfe bei Krankheit und Tod berichtet wurden. sie gilt als portugiesische Königstochter, die einen Heidenkönig heiraten sollte. Da sie ihrem christlichen Glauben treu bleiben wollte, bat sie Christus um einen Bart, der sie völlig entstellte. Ihr wütender Vater ließ sie daraufhin selbst kreuzigen. Im Deutschen verbindet sich damit die Sage vom armen Spielmann, dem sie ihren goldenen Schuh zuwarf, als er vor ihrem Bild spielte. Der Ursprung der Legende ist ein mißverstandenes, bekleidetes Kruzifix, der Volto Santo, im Dom zu Lucca. Christus ist noch nicht als der Leidende, sondern als der Triumphierende am Kreuz dargestellt, mit der Krone und einem Faltengewand. Dieses nördlich der Alpen ungewöhnliche Kruzifix regte die Phantasie an und führte zur Erzählung von der gekreuzigten Jungfrau. Bild und Sage von der Kümmernis sind heute noch in Schlesien, Bayern und Österreich verbreitet.
• Handbuch des Aberglaubens V. Spalte 807ff., Artikel ›Kümmernis‹ von WREDE; G. SCHNURER und J. RITZ: St. Kümmernis und Volto Santo (Düsseldorf 1934); J. GESSLER: De Vlaamsche Baardheilige Wilgefortis of Ontcommer. Kantteekeningen bij een Standaardwerk (Antwerpen 1937); O.A. ERICH und R. BEITL: Wörterbuch der deutschen Volkskunde (Stuttgart 1955), S. 452f.; L. KRETZENBACHER: Heimat im Volksbarock. Kulturhistorische Wanderungen in den Südostalpenländern (Klagenfurt 1961).}
Aussehen wie die hl. Kümmernis. Holzschnitt des H. Springinklee, Nürnberg 1513.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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