- blind
- Für etwas blind sein: etwas nicht sehen wollen. Wichtiges oder Gefährliches nicht wahrnehmen; das, was alle anderen sehen, nicht erkennen können.Das unvernünftige und unverständliche Verhalten eines Menschen wird mit dem eines Blinden verglichen, deshalb sagen wir heute auch: Jemand ist blind für eine Gefahr, Er ist vor Liebe blind, Er rennt blind in sein Unglück hinein.Die Wendung Mit sehenden Augen blind sein: das eigentlich Notwendige nicht sehen, beruht auf Mt 13,13: »Darum rede ich zu ihnen durch Gleichnisse. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht ...«Die Redensart wird in ihrem heutigen Wortlaut bereits von Hartmann von Aue in seinem ›Iwein‹ (V. 7058) verwendet: »mit gesehnden ougen blint«. Der Minnesänger Heinrich von Rugge braucht die Wendung 1191 selbstkritisch in bezug auf sich und seine Zeitgenossen ebenfalls literarisch: »Wir sîn mit sehenden ougen blint« (›Minnesangs Frühling‹ 97,40).Die neuere Redensart Er ist nicht blind, aber er sieht nicht umschreibt den gleichen Sachverhalt, vgl. niederländisch ›Hij is niet blind, maar zonder ougen‹ und französisch ›Ils ont des yeux et ils ne voient pas‹.Die Wendung Sich die Augen blind weinen: so viel weinen, daß die Augen nichts mehr erkennen können und krank werden, ist in der mittelhochdeutschen Dichtung häufig. So heißt es z.B. im ›Nibelungenlied‹ (988, 4): »ir ougen wurden nazzes blint« und in Wolfram von Eschenbachs ›Parzival‹ (98, 14): »disiu kint wârn von weinen vil nâch blint«.Im Spott vergleicht man einen Dummkopf gern mit blinden Tieren, teils mit solchen, die wirklich oder vermeintlich schlecht sehen (Eulen, Hasen), teils mit anderen. Da man die im Fell verborgenen, sehr kleinen Augen des Maulwurfs ursprünglich nicht sah, glaubte man, er habe keine, und es entstand der redensartliche Vergleich So blind wie ein Maulwurf sein; vgl. auch die seit dem 17. Jahrhundert bezeugte niederländische Redensart ›zoo blind als een mol‹, englisch ›as blind as a mole‹ und französisch ›être myope (kurzsichtig) comme une taupe‹.Vor allem ist Das blinde Huhn sprichwörtlich geworden, das auch einmal ein Korn findet, und in derberer Sprache Die blinde Sau, die wohl einmal eine Eichel, Die blinde Kuh, die einmal eine Erdbeere findet, immer in der Bedeutung, daß sich etwas Unwahrscheinliches doch einmal ereignen könnte; vgl. niederländisch ›Een blinde kip vindt ook wel eens een graantje‹ oder ›Men kan niet weten, hoe een koe een has vangt‹; englisch ›A blind man may chance to hit the mark‹ und ähnlich wie im Niederländischen ›A cow may catch a hare‹.Er ist ein blinder Hesse ⇨ Hesse.Ein blinder Heide sein: ohne das Licht des Glaubens sein, den Weg zur Erlösung nicht sehen können.Das Adjektiv blind verbindet sich mit verschiedenen Substantiven, um das Zufällige, Unberechenbare auszudrücken. So sprechen wir z.B. davon, daß Das Glück blind ist, d.h. unparteiisch, wobei Fortuna mit verbundenen Augen gedacht und dargestellt wurde (französisch ›La Chance [Le hasard] est aveugle‹), vom Blinden Zufall, Vom blinden Schicksal und Blinden Willen, aber auch Von blinder Furcht und Blindem Lämr. Besonders die Natur wird in ihrem Werden und Vergehen als blind gedacht. Bei Jean Paul findet sich im ›Kampaniertal‹ (71) die Wendung »der blinde Tritt der Natur«, und Schiller beklagt die »Unvernunft des blinden Elements«.Das Wort blind bedeutet nicht nur ›nicht sehen‹, sondern auch ›nichtig‹, ›funktionslos‹ sein. Wir sprechen von Blinden Fenstern und Blinden Taschen und meinen nur angedeutete, vorgetäuschte Taschen und Fenster, also Dinge ohne Funktion. In der Redensart Er trägt lauter blinde Taschen am Rock: er prahlt mit Kenntnissen und Fähigkeiten, die er nicht besitzt, erfolgte eine Übertragung des Begriffs ›blinde Taschen‹ in den geistigen Bereich.Schon 1537 wird bei Dasypodius (Dichonarium, 313a) der Darm ohne jede Aufgabe als ›Der blinde Darm‹ bezeichnet, ähnlich verwendet Weinsbeke bereits im 14. Jahrhundert (Ausgabe Leitzmann 63,2) das Wort blind: »swaz ich vreuden ie gewan, die sint bi dieser vreuten blint«. In dieser Bedeutung verwenden wir das Wort noch heute, z.B. in dem Ausdruck Blinder Alarm, auch die Zusammensetzung Blindgänger ist so zu verstehen: es ist eine Bombe, die nicht explodiert und darum nichtig, ohne Wirkung ist. In der modernen Redensart Ein bevölkerungspolitischer Blindgänger sein wird der Junggeselle, der Impotente und der verheiratete Mann ohne Nachkommen verspottet.Außerdem dient blind zur Bezeichnung von Dingen, die man nicht sieht oder die nicht entdeckt werden sollen: eine Blinde Grube ist bei Opitz eine verdeckte Grube, der Blinde Sand ist die Sandbank, die nicht sichtbar ist und zur Gefahr wird, die Nebel- oder Tarnkappe, die unsichtbar machen kann, nennt man auch Blinde Kappe. Ein blinder Passagier sein heißt demnach auch: ein Reisender sein, der sich versteckt hält, weil er kein Fahrgeld bezahlt hat. Die Redensart stammt aus dem Postkutschenverkehr, ist seit 1787 bei Schulz-Basler (Deutsches Fremdwörterbuch II, 398) belegt und bereits 1813 in Campes Fremdwörterbuch verzeichnet. H. Heine gebraucht die Wendung in der ›Heimkehr‹ (74): »Zwischen uns saß Amor, der blinde Passagier«. Vgl. französisch ›un passager clandestin‹ (wörtlich: ein heimlich mitfahrender Passagier).Blindekuh spielen ⇨ Blindekuh. Die Redensart Etwas blind bezahlen weist auf einen Brauch beim Handwerkerquartal: erhielt jemand eine Geldstrafe, so erkannte er die Verpflichtung zu späterer Zahlung an, wenn er die Hand sichtbar öffnete und schloß (Handwerksakten des Stadtarchivs Bützow). Blind laden hieß: nur mit Pulver laden; vgl. französisch ›charger à blanc‹.Auf dem rechten Auge blind sein, Auf dem linken Auge blind sein sind Wendungen, die besonders im politischen Bereich vorkommen. Sie sind entstanden in Anlehnung an die Redensart Auf einem Auge blind sein, d.h. nur die Hälfte sehen (wollen), und kennzeichnen die Einstellung gegenüber dem rechten bzw. linken Parteiflügel, insbesondere aber gegenüber Rechts- und Linksextremisten, ⇨ Auge.• F. WIESENBACH: Die blinden Hessen (Hamburg 1891); G.M. KUEFFNER: Die Deutschen im Sprichwort (Heidelberg 1899) S. 58 ff.; W. JÄGER: Die Heilung des Blinden in der Kunst (Sigmaringen 2. Auflage 1976); H.J. UTHER: Artikel ›Blind, Blindheit‹, in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 450-462.}Das Glück ist blind. Fortuna mit Augenbinde von J. Muczkowski, Krakow 1849, aus: J. Krzyza-nowsky: Madrej glowie dosc dwie slowie, Bd. I, Warszawa 1960, Abbildung 8.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.