Jahr

Jahr
Jahraus, jahrein: dauernd, immer; eigentlich: vom Ende des einen, des laufenden Jahres und weiter vom Anfang des folgenden Jahres an; vgl. französisch ›D'année en année‹. Ähnlich Jahr für Jahr, Nach Jahr und Tag wird jetzt meist in dem allgemeinen Sinn: nach geraumer Zeit, ziemlich lange danach gebraucht (Knut Hamsun hat einen Romantitel daraus gemacht), ist aber ursprünglich eine mittelalterliche Rechtsformel, die eine Frist von einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen festlegte, die verflossen sein mußte, um in den unangefochtenen Besitz einer durch Erbe oder Kauf erworbenen Sache zu gelangen. Es war eigentlich die Jahresfrist, innerhalb deren ein Recht verjährte, wenn nicht Klage erhoben worden war. Da das ordentliche Landgericht (Echteding) seit der Zeit Karls des Großen alle 6 Wochen stattfand und jedesmal drei Tage dauerte, konnte die Klage längstens in einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen nach Entstehung des Anspruchs noch rechtzeitig erhoben werden. Daher auch das alte Rechtssprichwort: ›Jahr und Tag soll ewig gelten‹. ›Jahr und Tag‹ war auch die Verjährungsfrist für der Herrschaft zu leistende Dienste. Der alte Rechtsspruch lautet: ›Versäumt die Herrschaft Jahr und Tag, so ist ihre Gerechtigkeit aus‹. Solche Zugabefristen stecken auch in Wendungen wie ›Über acht Tage‹ = in einer Woche (7 + 1 Tag); französisch ›quinze jours‹ = zwei Wochen (14 + 1 Tag). Dreißig Jahre und ein Tag überschritten die Dauer der Vollkraft der Mannesjahre, daher in Freidanks ›Bescheidenheit‹:
   nieman ritter wesen mac
   drîzec jâr und einen tac,
   im gebreste muotes,
   lîbes alder guotes.
Erst wer fünfzig Jahre und einen Tag gelebt hat, ohne gefreit zu haben, galt als Hagestolz; ›hundert Jahre und ein Tag‹ bedeutete soviel wie ewig; auf derselben Vorsicht, durch eine Zugabe das eigentliche Maß zu gewährleisten, beruht die Ehrensalve von 101 Schüssen, vgl. auch Ewig und drei Tage ( Ewigkeit); ›Tausend und eine Nacht‹.
   Zu (seinen) Jahren kommen: alt werden; die Wendung ist ursprünglich ebenfalls eine Rechtsformel, die ›mündig werden‹ bedeutete; so schon im ›Sachsenspiegel‹. Die altdeutsche Rechtssprache, genauer als die der Dichter, unterscheidet zuweilen und nimmt ›ze sinen jaren komen‹ für das geringere, ›ze sinen tagen komen‹ für das volle Mündigwerden. ›Sie kommt in die Jahre‹, d.h. ins Klimakterium (oder auch: in die Pubertät).
   Von den ›Sieben fetten Jahren und den sieben mageren Jahren‹ spricht man redensartlich im Anschluß an den Traum Pharaos von ›sieben schönen fetten Kühen‹ und von ›sieben häßlichen und mageren Kühen‹, der von Joseph im Sinne der Redensart gedeutet wird (Gen 41); vgl. englisch ›the fat years and the lean years‹; französisch ›les bonnes et les mauvaises années‹; niederländisch ›vette en magere jaren‹.
   Jemandem das neue Jahr abgewinnen: ihm mit den Glückwünschen zum Jahreswechsel zuvorkommen. Die im 19. Jahrhundert aufgekommene Redensart fußt auf der Volksglaubensregel, daß man am 1. Januar etwaigen Unheilsanwünschungen zuvorkommen muß, damit man im neuen Jahr Glück hat. Diese Grundvorstellung ist bis zur Unkenntlichkeit überlagert von dem dörflichen Brauch, am Neujahrstag die Glückwünsche so rasch anzubringen, damit man das dem ersten Glückwünscher zustehende kleine Geschenk erhält.
   Zwischen den Jahren: Im alten Rom begann das Jahr mit dem 1. März, weil da die höchsten Beamten ihr Amt antraten. Im Jahre 153 v. Chr. geschah das zum erstenmal am 1. Januar, und dieser Tag wurde damit für die ganze Welt zum Jahresbeginn. Später geriet das römische Amtsjahr in Konflikt mit dem christlichen Kirchenjahr. Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts feierte das Christentum den 25. Dezember nicht nur als Geburtstag Jesu, sondern zugleich als Jahresanfang. Während der ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte kannte die Christenheit allerdings noch kein Geburtsfest Jesu. Man feierte zunächst die Taufe, die man auf den 6. Januar legte, als den Epiphaniastag. Erst im Jahre 354 setzte Papst Liberius den 25. Dezember als Geburtstag Jesu fest. Und im 9. Jahrhundert entschloß sich dann die Kirche, den Jahresanfang auf den 25. Dezember zu verlegen, um dadurch das ganze Festleben auf Weihnachten zu konzentrieren. Im Mittelalter wechselte der Neujahrstermin dann noch mehrmals, bis ihn Papst Innozenz XII. endgültig auf dem 1. Januar beließ. Das geschah aber erst im Jahre 1691. So liegen Neujahrsbräuche zwischen Weihnachten und dem 6. Januar. Im bäuerlichen Kalender gilt noch immer der 6. Januar als eigentlicher Neujahrstag. ›Zwischen den Jahren‹ nennt man die Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest, die sogenannten ›Zwölften‹, das ›Dodekahemeron‹ der griechischen Kirche. Die Synode von Tours erkannte im Jahre 567 diese Festzeit an, die den alten und den neuen Geburtstag Jesu, das alte und das neue Neujahrsfest miteinander verband.
• J. GRIMM: Deutsche Rechtsaltertümer I, 306f.; Ebel, S. 7; G. JUNGBAUER: Artikel ›Jahr‹ ›Jahresanfang‹ und ›Jahresfrist‹, in: Handbuch des Aberglaubens IV, Spalte 593-608; P. SARTORI: Artikel ›Zwölften‹, in: Handbuch des Aberglaubens EX, Spalte 979-992. H. MAIER: Die christ-
liche Zeitrechnung (1991).

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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  • Jahr — Jahr, die Zeit eines Umlaufs der Erde um die Sonne. Siderisches Jahr ist die Zeit, nach welcher die Sonne wieder bei denselben Fixsternen am Himmel zu stehen scheint; es hat die unveränderliche Länge von 365,25637 Tagen. – Tropisches Jahr… …   Lexikon der gesamten Technik

  • Jahr — Jahr: Das gemeingerm. Substantiv mhd., ahd. jār, got. jēr, engl. year, schwed. år geht mit verwandten Wörtern in anderen idg. Sprachen – vgl. z. B. awest. yārə »Jahr«, griech. hō̓ra »Jahr‹eszeit›, Tageszeit, Stunde« (↑ Horoskop und ↑ Uhr) und …   Das Herkunftswörterbuch

  • Jahr — • Jahr das; [e]s, e – dieses (besser nicht diesen) Jahres (Abkürzung d. J.) – im Jahr[e] (Abkürzung i. J.) – laufenden Jahres (Abkürzung lfd. oder l. J.) – künftigen Jahres (Abkürzung k. J.) – nächsten Jahres (Abkürzung n. J.) – vorigen Jahres… …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Jahr — Jahr, der Zeitraum von 365 Tagen, 5 Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden, in welchem die Erde ihre Bahn um die Sonne Ein Mal vollendet. Um den Ueberfluß an Stunden, Minuten etc. auszugleichen, schaltet man alle 4 Jahr im Februar einen Tag, den… …   Damen Conversations Lexikon

  • Jahr — Sn std. (8. Jh.), mhd. jār, ahd. jār, as. gēr jār Stammwort. Aus g. * jǣra n. Jahr , auch in gt. jer, anord. ár, ae. gēar, afr. jēr. Vergleichbar, aber mit ō Stufe, ist zunächst gr. hṓra f. Jahreszeit, Jahr, Zeit, Blütezeit (später auch gr. hõros …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Jahr — Jahr, 1) im Allgemeinen Hauptabschnitt in der Zeiteintheilung, entweder nach der Rückkehr der Sonne auf ihrer Bahn zu einem gewissen Punkt (Sonnenjahr), od. nach der Zahl von völlig beendigten Umläufen des Mondes um die Erde binnen jener Zeit… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • -jahr — das; sehr produktiv; 1 ein ↑Jahr (1), in dem das, was im ersten Wortteil ausgedrückt wird, geschehen ist / geschieht; Baujahr <eines Autos>, Erscheinungsjahr <eines Buches>, Geburtsjahr, Sterbejahr, Todesjahr <einer Person>,… …   Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache

  • Jahr — [Basiswortschatz (Rating 1 1500)] Bsp.: • Das Mädchen ist sechs Jahre (alt). • Aber in den USA und Japan bedeutet es: 3. Oktober 2005 (Monat Tag Jahr). • Das Jahr hat zwölf Monate …   Deutsch Wörterbuch

  • Jahr — Jahr, schlechtweg soviel wie Sonnenjahr, d. h. die Zeit eines Umlaufs der Erde um die Sonne. Je nach der Wahl des Anfangs und Endpunktes in der Erdbahn unterscheidet man verschiedene Jahre: 1) Das siderische J. oder Sternjahr ist die wahre… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Jahr — Jahr, der Zeitraum, in welchem die Erde ihren Lauf um die Sonne vollendet. Dieses Sonnen J. ist entweder ein astron. oder ein bürgerliches; ersteres, die Periode umfassend, innerhalb welcher die Sonne von einem bestimmt gewählten Anfangspunkt zu… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Jahr — Jahr, der Zeitraum, in welchem die Erde einmal ihre Bahn um die Sonne beschreibt (siderisches J.); das tropische J. umfaßt die Zeit von einer Frühlingsnachtgleiche bis zur nächsten u. ist wegen des Vorrückens der Aequinoctialpunkte um 20 Minuten… …   Herders Conversations-Lexikon

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