Nassauer

Nassauer
Ein Nassauer sein oder Nassauern: schmarotzen, insbesondere: auf Kosten eines andern im Wirtshaus essen und trinken. Die Erklärung dieser Redensart ist mit mancherlei ätiologischen Sagen versucht worden: Für die in Göttingen studierenden Nassauer bestanden zwölf Staatsstipendien. Erschien einer der Inhaber nicht am Freitisch, so ›nassauerte‹ ein nicht Berechtigter. Nach einer anderen (mündlich in Wiesbaden aufgezeichneten) Variante gewährte der Landgraf von Hessen allen Studenten Gastfreiheit. Es genügte, am Portal des Schlosses die Herkunftsbezeichnung ›Nassauer‹ zu nennen, um eingelassen zu werden. Da dieses Recht oft mißbraucht wurde, hat sich nassauern zu der Bedeutung, ›Bei andern schmarotzen‹ entwickelt. Alle diese Geschichten sind aber wohl erst nachträglich erfunden worden. Die Anlehnung an den Ortsnamen Nassau ist vermutlich ein Namensscherz wie ›Freiberger‹ für einen, der gern umsonst mitgeht, ›Freibergert‹; ›Aus Nehmersdorf oder Nimwegen, vom Stamme Nimm ist‹, gern etwas umsonst nimmt. Berlinisch bedeutet ›per naß‹ oder ›für naß‹ umsonst. Der älteste Beleg dieses Namensscherzes findet sich bei Johann Fischart (›Aller Praktik Großmutter‹): »Spielt die Sonne der blinden Mäuß unter den Wolken, so zieht sie mit dem von Nassau ins Feld«, d.h.
es wird bald Regen geben.
   Heute nimmt man an, daß der Ausdruck ›nassauern‹ von dem rotwelschen Verb ›nassenen‹ abgeleitet wurde; auch ›naß sein‹ wurde in dieser Bedeutung gebraucht: naß. »Schwierig ist es, die Frage zu beantworten, wie ›naß‹ zu dieser Verwendung gekommen sein mag. Daß es nicht aus Nassauer verstümmelt worden ist, liegt auf der Hand« (Weise, S. 275); vgl. englisch ›Free-loader‹.
• O. WEISE: Nassauern, in: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 1 (1901), S. 273-275; A. RICHTER: Deutsche Redensarten (Leipzig 41921), S. 154; RICHTER-WEISE, Nr. 140, S. 154; SCHOPPE in: Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, 29 (1928), S. 301; E. SCHRÖDER in: Hessische Blätter für Volkskunde, 36 (1938), S. 167f.; L. POUND: Free-loader, in: American Speech 29 (1954), S. 229-300; S.A. WOLF: Nassauer und Usinger, verkannte »Landsleute« in: Muttersprache (1955), S. 339-340; H. PLECHER: Nassauern, in: Geroldsecker Land (Sonderh. 1970/71), S. 148-149; H.J. SCHOEPS: Ungeflügelte Worte (Berlin 1971), S. 170.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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