Petrus

Petrus
Dem Peter nehmen und dem Paul geben: es dem einen nehmen und dem andern geben; von dem einen etwas leihen, um den andern damit zu bezahlen. Diese ältere Redensart ist heute kaum noch üblich (vgl. englisch ›to rob Peter to pay Paul‹; französisch ›dépouiller Saint Pierre pour habiller Saint Paul‹ oder: ›découvrir Pierre pour recouvrir Paul‹). Die Zusammenstellung der beiden stabreimenden Hauptapostelnamen ist sehr gebräuchlich; heißt doch auch ein Kalendertag, der 29. Juni, nach ihnen gemeinsam. Die Redensart erklärt sich aus dem einst nicht seltenen Vorkommnis, daß aus einer Kirche Gegenstände der Verehrung und des Schmuckes, die dort reichlich vorhanden waren, genommen wurden, um sie an neue Kirchen zu geben, denen diese Dinge noch fehlten. Handelte man doch dabei sogar in Übereinstimmung mit Paulus, der 2 Kor 11,8 schreibt: »... und habe andere Gemeinden beraubt und sold von ihnen genommen, daß ich euch predigte«. so mag es denn vorgekommen sein, daß man dem heiligen Petrus den Rock nahm, um ihn dem heiligen Paul anzuziehen (vgl. die oben erwähnte französische Redensart); denn es war da durchaus üblich, den Statuen der Heiligen wirkliche Gewänder anzulegen. Nach Quittard (›Etudes littéraires et morales sur les proverbes français‹, 1860, S.
305) findet sich die Redensart literarisch schon zur Zeit des Frankenkönigs Dagobert, der zur Gründung der Abtei Saint-Denis verschiedene Kirchen zu den erwähnten Schenkungen nötigte. So mußte unter anderen die Martinskirche in Tours ihre eisernen Türen an die Dionysius-Abtei abtreten; schon damals wurde sprichwörtlich geklagt: »Non est spoliandus Petrus, ut vestiatur Paulus«. Friedrich der Große am 1. August 1786: »Man mus nicht Petern ausziehen, vmb Paulen zu bekleiden« (Stadelmann, Aus der Regierungszeit Friedrichs des Großen, Halle 1890, S. 95).
   Petrus gilt als Wetterregent. Bei schönem Wetter sagt man: ›Petrus meint es gut mit uns‹. Wenn weiße Wölkchen am Himmel stehen, sagt man: ›Der heilige Petrus weidet Schäfchen oder Lämmel‹ oder ›backt Brot‹; wenn es regnet, sagt man: ›Petrus schließt den Himmel auf‹; wenn es schneit: ›Petrus hat ein Loch aufgemacht und kann es nicht wieder zustopfen‹. Bei Gewitter ›Fährt Petrus Unsere Liebe Frau in einem Wagen spazieren‹ (vgl. Handbuch des Aberglaubens VI, Spalte 1536ff.); weitere Wetter- Redensarten mit Petrus: ›Petrus blinzelt‹, es wetterleuchtet; ›Jetzt ist Petrus der Sack geplatzt‹, Blitz, Donnerschlag und Wolkenbruch ereignen sich gleichzeitig: ›Petrus kegelt‹, es donnert; ›Petrus läßt Wasser‹, es regnet: ›Petrus rückt Schränke‹, es donnert verhalten in der Ferne; ›Petrus hat gefurzt (geschissen)‹, es donnert heftig; ›Petrus schifft‹, es regnet heftig; ›Petrus zieht um‹, es donnert heftig.
   Auf Petrus als Himmelspförtner beziehen sich soldatensprachlich euphemistisch-verhüllende Redensarten für ›sterben‹, wie z.B. ›bei Petrus anklopfen‹; ›sich mit Petrus bekannt machen‹; ›gen Petrus fliegen‹, bei einer Explosion in die Luft fliegen. ›Sei bloß ruhig, oder hast du eine Verabredung mit Petrus?‹ ist eine hamburgische Drohung. ›Mit Petrus Sechsundsechzig spielen‹, zeitlich:
   Jemandem den Peter Puff singen: jemanden schlagen (heute veraltet); z.B. in den Fastnachtsspielen von Hans Sachs (4,3,19): »ich wil ir (der Frau) den Peter Puff singen, thu ich sie heim zu Hause bringen«.
   Peterfriß, 's sind Linsen: tu es nur, die Folgen werden schon nicht so schlimm sein; heiße das Unangenehme gut; pommerisch ›frett Peter, 't sünd Lünsen‹, das stecke ein, es ist auf dich gemünzt. Die Redensart hat ihren Ursprungsbereich in der Sprache der Kartenspieler; sie ist durch ihre Verwendung in Fritz Reuters ›Stromtid‹ (II, Kapitel 22) literarisch geflügelt geworden.
   Peterle auf allen Suppen sein Petersilie. Eine Zigarre, 1945-48 eine Zigarette aus selbstgezogenem Tabak (›Eigenbau‹) ›Marke Petrus‹, ist minderwertig mit Anspielung auf Lk 22,62: »Er ging hinaus und weinte bitterlich«.
   Den schwarzen Peter in der Tasche haben: der Schuldige, der Letztverantwortliche sein. Die Redensart leitet sich von dem Kinderkartenspiel her, bei dem der Besitz des ›Schwarzen Peters‹ Unterlegenheit bedeutet und andererseits die Gewinner zu vorher vereinbartem Mutwillen berechtigt; ebenso: Den schwarzen Peter zurückgeben: die Verantwortung auf den eigentlich Verantwortlichen abwälzen; Jemandem den schwarzen Peter zuschieben: jemandem die Schuld, die Verantwortung aufbürden, schwarz.
   Der Scharfrichter hieß früher – neben vielen anderen Namen – euphemistisch oft ›Meister Peter‹. ›Petrus ins Credo‹ kommt in Hugo von Hofmannsthals ›Rosenkavalier‹ (III. Akt) vor, Pilatus.
   Einen Peterskopf haben: eigensinnig sein. Die biblische Erzählung von der Fußwaschung, wo Petrus erst nicht dulden wollte, daß Christus ihm die Füße wusch, dann aber, von seinem Herrn belehrt, auch noch Haupt und Hände gewaschen haben wollte, gilt als Grundlage der Bezeichnung Peterskopf. Nigrinus sagt: »als wolte vnd musst ers nirgends machen, nach des Herrn sinn, sondern nach seinem eygensinnigen kopff, darauss ein sprichwort entstanden ist in der Welt, das man ein eygensinnigen ein Peterskopff nennet«; so auch bei Luther, Thom. Murner, Johann Fischart.
   Neben der Fußwaschungsszene rechtfertigt auch die jähzornige Art, mit der Petrus bei der Gefangennahme Jesu dem Malchus ein Ohr abschlägt, den Hintergrund der Redensart: ›einen Peterskopf haben‹. Sie ist besonders im 16. Jahrhundert sehr gebräuchlich; schon in den Mysterienspielen des Mittelalters tritt Petrus als komischer Held auf. Johann Fischart spielt in seiner ›Flöhhatz‹ (V. 344ff.) auf den Peterskopf im Sinne der wunderlichen, hitzigen Art von Petrus an:
   Gleich wie man von Sant Peter saget,
   Der, als er Herr Gott war ein Tag
   Und Garn sah stehlen eine Magd,
   Warf er ihr gleich ein stuhl zum Schopf,
   Erwies also sein Peterskopf.
   Hätts solcher Gstalt er lang getrieben,
   Es wär kein Stuhl im Himmel blieben.
Im 15. bis 17. Jahrhundert galt die Regel, daß alle Männer, die Petrus heißen, wunderlich seien: ›omnes petri sunt mirabiles‹. In Erfurt durfte im 15. Jahrhundert kein Mann namens Petrus zum Bürgermeister gewählt werden. In Nürnberg und Umgebung werden Glatzenträger als Peter(s)köpfe bezeichnet. 1612 schrieb der Nürnberger Patrizier Behaim an seine Braut: »Zu wünschen wäre, daß Ihr Eure schöne Haar auf meinen platteten Peterkopf hättet setzen und machen können«.
   In der deutschen Kunst wird seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert Petrus mit Glatze und Stirnlocke (Rest der Kranztonsur) dargestellt, besonders bei Dürer. Hans Sachs gibt in einem Meistergesang von 1551 dafür eine Erklärung. Eine Bäuerin rauft Petrus die Haare aus, weil er verschlafen hat:
   Darumb malt man noch ueberal
   Sant Petter gar glaczet vnd kal,
   Seit die pewrin in also ruepft.
In einer niederländischen Erzählung (Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels, S. 129) dagegen soll Petrus vor dem Herrn unter seinem Hut einen heißen Kuchen verborgen haben, der ihm die Haare wegbrannte.
• R. KÖHLER: Aufsätze über Märchen und Volkslieder (Berlin 1894), S. 6749; J. VAN VIIERBERGHE: Ons Heer wilt door St.-Pieter niet uit't water gehaald worden. St.-Pieter op ons Heer leggen, in: Vlaamsche Zanten 2 (1900), S. 15; O. DÄHNHARDT: Natursagen I (Leipzig – Berlin 1907), S. 172f.; Bolte-Polivka I, S. 344f.; Mot. 774 J.: T. ZWÖLFER: Sankt Peter, Apostelfürst und Himmelspförtner (Stuttgart 1929); WERKBIE: Pietjes, pierkes en pieters; De naam Pieter in Spreekwoorden en volksuitdruckingen, in: Biekorf 36 (1930), S. 270-273; H. BRINKMANN: Die Darstellung des Apostels Petrus (Diss. Erlangen 1936); Schwänke aus mündlicher Überlieferung: authentische Tonaufzeichnungen 1952-1970 v. J. Künzig und W. Werner, Kom-
mentare H. Lixfeld (Freiburg 1973), S. 75-76.
Einen Peterskopf haben. Hl. Petrus, Hinterglasbild aus dem Kanton Schwyz, 1. Viertel des 19. Jahrhunderts.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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