- scheren
- Das gemeingermanische Wort für lateinisch ›tondere‹ ist im Althochdeutschen als ›sceran‹ und im Mittelhochdeutschen als ›schern‹ bezeugt. Neben dem starken Verb, das schon früh mehrere Bedeutungen besitzt, besteht das schwache Verb ›scheren‹ (althochdeutsch ›scerian‹, mittelhochdeutsch ›schern‹) im Sinne von teilen, abteilen und zuteilen. Die schwachen Formen werden im Niederhochdeutschen nur bei ›bescheren‹ und ›sich scheren‹ noch gebraucht. Aus dem Nebeneinander der Wortbedeutungen erklärt sich auch der verschiedene Sinn der RedensartenEinen scheren: jemanden übervorteilen, prellen, betrügen, auch: ausbeuten, bedrücken, Geld erpressen; vgl. französisch ›tondre quelqu'un‹.Die Wendung, die seit dem 16. Jahrhundert übertragen gebraucht wird, bezieht sich ursprünglich wohl auf das Scheren der Schafe oder auf den Barbier, der seine Kunden übervorteilt. Sie wird vor allem auf den betrügerischen Wirt bezogen, der seine Gäste eine zu hohe Zeche zahlen läßt.Goethe gebraucht den Ausdruck im Sinne von berauben, ausplündern literarisch in seinem ›Götz von Berlichingen‹ (I. Akt): »Reitersmänner von Ansehn; dergleichen Volk schnorrt das ganze Jahr im Land herum, und schiert die Leut was tüchtigs«.Auf die Herkunft der Redensart von der Schafschur weisen parallele Wendungen, wie ›Sein Schäfchen scheren‹, seinen Vorteil wahrnehmen, ›Die Schafe scheren, daß die Wolle fliegt‹ und ›Die Schafe scheren, ohne daß sie schreien‹, die Leute unterdrücken und ausbeuten auf eine vorsichtige und versteckte Weise, so daß sie es kaum bemerken und sich nicht dagegen zur Wehr setzen. Vgl. niederländisch ›Hij scheert het schaap, zonder dat het schreeuw‹. Das Gegenteil besagt die Redensart ›Er schiert bis aufs Fell‹, er nimmt alles und läßt einem nur die nackte Haut. In Schleswig-Holsteinisch heißt es mundartlich noch heute von einem, der alles verloren hat: ›He is'n scharen Schaap‹, ⇨ Schaf.Auch auf die Getreideernte wurde scheren angewandt, so in der Redensart Seinen Weizen scheren: sich Gewinn verschaffen. Die Wendung ist bereits in der Chronik Aventins (1, 367, 23) bezeugt: »Wiewol die groszen Hansen und hauptleut, die bei im irn waiz nach irem sin nit schern mochten, oft aufrüerisch warn wider in«.Einen gut scheren: ihn beim Spiel übervorteilen; dafür steht auch: Einem den Beutel scheren, literarisch z.B. bei Hans Sachs (3, 312C): »Sie nam vert erst ein jungen man, der hat jrem beutel geschorn«. Drastisch verstärkt heißt es im ›Teufels-Netz‹ (9250) sogar: »Der koufman aim daz hâr im ars schirt«.Scheren erscheint auch im Wortspiel als Gegensatz zu dem noch stärkeren und verwerflicheren ⇨ schinden. So dichtet Logau (2, 166, 39):Große Herren, die da herschen,Mögen schehren nur nicht schinden.Hirten nemen so die Wolle,Daß sie Wolle wieder finden.Einen trocken scheren: einen übervorteilen, meist aber ironisch oder euphemistisch umschreibend gebraucht für: einem den Kopf abschlagen, jemanden enthaupten. Eigentlich meint die Redensart jemandem den Bart abnehmen, ohne ihn vorher naß zu machen und einzuseifen. Vgl. niederländisch ›scheren zonder zeep‹.Auch im Volkslied ist die Redensart verwendet worden, im ›Ambraser Liederbuch‹ stehen die Verse (130, 2):Sich klagt der vollen brüder orden,Der wirth der hat uns trucken geschoren.Die Stelle in J. Rufs ›Etter Heini‹ (Vorspiel 238):Zu Nëfels an der LezHannd wir inen geschoren ungenezentspricht der Redensart ›Jemanden trocken scheren‹ im Sinne von töten. Die Verse beziehen sich auf einen Sieg am 9. April 1388 bei Näfels im Kanton Glarus, wo 6000 Österreicher von nur 500 Glarnern besiegt wurden, die die meisten ihrer Feinde töteten.Ein bairisch-oesterreichisches Schimpfwort ist ›G'scherter!‹, oft auch gebraucht in Verbindung mit ›Hammel‹ oder ›Hund‹ etc.: ›G'scherter Hund, g'scherter!‹ Der Gescherte ist ursprünglich der Unfreie sowie der Sträfling, die beide die Haare nicht lang tragen durften.Einem den Gecken scheren: ihn zum Narren machen, seinen Spott mit ihm treiben. Der geschorene Kopf war früher das Kennzeichen des Narren. Vgl. niederländisch ›de gek (den sot) scheren met iemand‹. ›Die Laus um den Balg scheren‹, sehr geizig sein, eine besonders im Schwäbischen bekannte WendungAlles über einen Kamm scheren ⇨ Kamm.Sich um etwas (jemandem) scheren: sich darum kümmern, sich Gedanken, Sorgen darum machen. Die Wendung wird meist negaziv oder in Frageform gebraucht, häufig auch lit., z.B. bei Goethe (Werke 4,364):Was schiert es mich,Ob jemand weiß,Daß ich das Volk verfluchte.In der Ballade ›Die Grenadiere‹ läßt Heinrich Heine den Todwunden sagen:Was schert mich Weib,Was schert mich Kind?Ich trage weit beß'res Verlangen.Sich (davon)scheren: sich entfernen, eilig davongehen, verschwinden. Die Redensart wird meist imperativisch gebraucht: Scher dich zur Hölle (zum Kuckuck, zum Teufel)! Spätmittelhochdeutsch ist das Wort ›schern‹ in der Bedeutung sich fortmachen bereits bei dem Tiroler Oswald von Wolkenstein belegt (6, 21).Hochgeschoren sein: Vornehm, von hohem Stande sein, aber auch spöttisch gesagt, wenn sich jemand mehr dünkt, als er ist. Die Wendung erinnert an die besondere Haartracht der Adligen und Geistlichen, die sie vom niederen Volke unterschied. Ein literarischer Frühbeleg findet sich schon in Hartmanns von Aue ›Erec‹ (6632):swie hohe er waere beschorn,er wart do lützel uz erkorn,ez waere abt od bischof.Mundartlich hat sich diese Vorstellung redensartlich bis heute erhalten. So sagt man z.B. in Sachsen: ›Das ist nichts Geschorenes weiter‹, wenn es sich um vornehm tuende Personen handelt, deren Wert man herabsetzen möchte.Einen ungeschoren lassen: ihn in Ruhe lassen.nicht weiter belästigen, quälen. Die Redensart ist seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt und soll an die Badeszenen der Handwerker und die Deposition der Studenten erinnern, denen Haar und Bart grob bearbeitet wurden, um ihnen symbolisch ihre Tölpelhaftigkeit und Unbildung zu nehmen, ⇨ ungeschoren.Einen scheren. Spielkarte: ›Parbirer‹, Wien, um 1440 am Oberrhein entstanden.Den Gecken scheren. Detail aus dem Sprichwörter- Bild von P. Bruegel, 1559.Den Gecken scheren. Detail aus einem Bilderbogen aus Ost-Flandern, um 1700.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.