- Seil
- Einem das Seil über die Hörner werfen: ihn mit List einfangen, da man seine Kraft fürchtet, eigentlich wie einen jungen Stier fesseln, da man ihn nicht anders überwältigen kann und anzupacken wagt; dann auch: einen berücken, betrügen. Besonders gern wendet der Volksmund diese Redensart auf einen an, der sich verlobt hat, sich also von einem Mädchen hat ›einfangen‹ lassen. So heißt es z.B. bremisch von einem Verlobten: ›Hei het sek dat Säl ümm de Hören smiten laten‹. Ähnlich schrieb schon Grimmelshausen in seinem ›Simplicissimus‹ (II, 182): »Ein junger Schnautzhann, dem sie das Seil über die Hörner warff«, und Hans Sachs in der ›Eulenbeiz‹: »Man hat mirn strick ant hörner bracht«. 1639 wird die Wendung auch von Lehmann (S. 940, Zusatz 2) gebraucht: »Zusagen steht im Willen, aber das halten hat das Seil an Hörnern«. Bismarck wandelt den Ausdruck etwas ab, meint aber auch sich fangen, überlisten, festnageln lassen: »Wir werden uns wegen dieser Fragen von niemand das Leitseil um den Hals werfen lassen« (›Reden‹ 12, 183). Die Redensart begegnet auch in der Form Einem das Seil über den Kopf werfen und in der Kurzfassung Einem das Seil überwerfen, so bei Murner in seiner ›Narrenbeschwörung‹ (69): »Vber einen das seil werffen« im Sinne von übervorteilen.Über das Seil werfen: jemanden betrügen, ist vielleicht als eine Art Kurzform der vorigen Redensarten nach dem Muster ›Über den Tölpel werfen‹ gebildet. Hans Sachs verwendet neben der anderen auch diese Redensart, Sebastian Franck (I, 104a) schreibt auch: »Vber das seil werffen«, und in der ›Bayrischen Chronik‹ (DXIVb) findet sich ein ausführlicher Beleg: »Hertzog Ludwig von Ingelstatt vermeint ... Keyser Carl hett seinem Vettern Hertzog Otten in solchem Kauff mercklich vber das seil geworffen, hett jm nicht die strick an den Glocken bezalt«. Alemannisch heißt betrügen auch: ›ein' am Seil abilau‹.Auf dem Seil tanzen (gehen): in unsicherer Lage sein, sich auf ein gefährliches Unterfangen einlassen. In Ulm sagt einer, der weiß, daß er sich in Gefahr begibt wie ein Seiltänzer, der bei einer Ungeschicklichkeit abzustürzen droht: ›Heut muess i aufs Soil!‹ Vergleiche auch lateinisch ›ire per extentum funem‹ (Horaz); französisch ›danser sur la corde raide‹.Er geht im Seil: er verdient sich sein Brot schwer. Die Redensart erinnert an die schwere Arbeit der Schlepper, die eine Leine um den Leib geschlungen hatten und damit ein Schiff stromauf ziehen mußten. Da Seil in enger etymologischer Verwandtschaft zu ›Siele‹ steht, ist die Redensart nur eine Abwandlung der bekannteren Wendung ›In den Sielen gehen (sterben)‹, ⇨ Siele.An einem (am gleichen) Seil (Strang) miteinander ziehen: miteinander die gleiche Tätigkeit vollziehen, ein gemeinschaftliches Geschäft (Verbrechen) ausführen, mitschuldig sein und das gleiche Schicksal tragen, auch: gemeinsame Interessen verfolgen, eines Sinnes sein. Die Redensart ist auch mundartlich verbreitet. In Bedburg heißt es z.B. ›De träcken ê Sel‹, wenn zwei gut übereinstimmen und zusammenhalten, vgl. auch: ›Unter einer ⇨ Decke stecken‹, Häufig erscheint diese Rda. auch ins Negative gewendet, um große Uneinigkeit auszudrücken: Sie ziehen nicht an einem Seil oder Sie ziehen wohl an einem Seil, aber jeder an einem ändern Ende, so daß sich die Kräfte gegenseitig aufheben und nichts erreicht werden kann; vgl. frz. ›tirer ä hue et ä dia‹ (Hüh und hott ziehen).An diesem Seil muß man nicht ziehen: man sollte sich nicht daran beteiligen, auch: die Sache nicht verkehrt anfangen. Ob das Glockenseil oder Leitseil gemeint ist, bleibt ungewiß. Pestalozzi verwendet die Redensart Am rechten Seile ziehen literarisch (Werke XII, 127). Er hat mehr als ein Seil zu seiner Kunst: er hat mehrere Mittel in Bereitschaft, er wird sich im Notfall zu helfen wissen; vgl. französisch ›avoir plus d'une corde à son arc‹ (mehr als ein Seil an seinem Bogen haben). Vergleiche auch französisch ›se mettre la corde au cou‹, im Sinne von auf seine Freiheit verzichten, heiraten, sowie ›tirer sur la corde‹, im Sinne von einen Vorteil mißbrauchen, und ›parler de corde dans la maison d'un pendu‹: in der Wohnung eines Gehängten vom Seil sprechen, im Sinne von unüberlegt reden.Immer dasselbe Seil spinnen: die alte Sache weiterbetreiben, erledigte Probleme wieder aufgreifen.Er will ein Seil durch ein Nadelöhr ziehen: er versucht Unmögliches. Die Redensart erinnert an die Bibelstelle: Mt 19, 24: »Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in den Himmel komme«, wobei ›Kamel‹ die Bezeichnung für ein dickes Seil war, was oft mißverstanden wurde; ⇨ Nadel.Auf dem Seil tanzen. ›Seiltanz‹ nach Van de Venne. Aus: J. Ter Gouw: De Volksvermaken, Haarlem 1871, S. 448.Im Seil gehen – Am selben Seil (Strang) ziehen. Gemälde von Ilja Repin (1844-1930).
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.