- Stachel
- Wider den Stachel löcken (lecken): aufbegehren, starrköpfig sein, vergeblich Widerstand leisten (vgl. ›Mit dem Kopf gegen die Wand rennen‹); eine im Griechischen (›pros kentron laktizein‹) und im Lateinischen (›contra stimulum calcitrare‹) ganz geläufige Wendung, deutsch nur belegt aus der Bibelübersetzung Luthers anläßlich des Bekehrungserlebnisses des Saulus: »Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken« (Apg 9, 5). Zu ›lecken‹ hat Luther selbst schon als Erklärung an den Rand geschrieben: »Das ist, springen, hupffen«.›Lecken‹ = mit den Füßen ausschlagen, hüpfen, springen ist eine Intensivbildung zur Wurzel ›lih‹ und heißt mittelhochdeutsch ›lecken‹; der Gebrauch dieses Verbs war ursprünglich auf das Mitteldeutsche eingeschränkt. Im 17./18. Jahrhundert wollte man das Verständnis des Wortes erhalten, und um es vom Lecken mit der Zunge abzuheben, schrieb man es ›löcken‹ (so seit dem 17. Jahrhundert in den Bibelausgabe) oder ›läcken‹ (so zum Beispiel Lessing bezüglich eines Geistlichen: »Sehen Sie, Herr Pastor, es wird mir unmöglich sein, nicht gegen Ihren Stachel zu läcken«). Mißverstanden scheint der etymologische Sinn von ›lecken‹ schon bei Gryphius zu sein, der das Verb transitiv gebraucht: »Wer seine (Gottes) Stachel leckt, nimmt ein erschrecklich End«. Heute ist dieses Wort völlig veraltet und ist nur noch in dieser Redensart erhalten.Durch Luther verdrängt auch Stachel das gemeingermanische ›Angel‹. Nicht gegen die Wendung Luthers durchgesetzt hat sich auch ›Wider den Stachel treten‹ (›Bibl. Hist.‹, S. 320/14). Der Redensart liegt das Bild des Ochsen zugrunde, der den Pflug zieht und gegen den Stachelstock ausschlägt, mit dem ihn der Treiber anspornt, und sich dadurch verwundet. Dieser Stachelstock war ein Stab, der an seinem dickeren Ende mit einem starken eisernen Spaten versehen war, um die Erde abzustoßen, die an der Pflugschar hängenblieb; an seinem dünneren Ende befand sich die eiserne Spitze, mit der die Tiere angetrieben wurden.In Kenntnis des etymologischen Sinnes reimt Burkard Waldis (1490-1556) in ›Der wilde Mann von Wolffenbüttel‹ (V. 419ff.):Dann so gehts gewißlich allen denen,Die sich wölln wider gott aufflenenUnd widern scharpffen stachel lecken:Den bleibt er in der fersen stecken.Die Redensart ist noch heute sehr bekannt, wird aber durchweg ironisch verwendet, in dem Bewußtsein zu zitieren.Den Stachel eines Insekts oder einer Pflanze hat eine größere Zahl von Redensarten zum Bilde: Einer Sache den Stachel nehmen: ihr das Verletzende nehmen, so wie man zum Beispiel die Stacheln der Rose entfernt, bevor man den Zweig in die Hand nimmt; Einen giftigen Stachel in etwas finden: eine gefährliche Seite an etwas entdecken, das zunächst sehr verlockend erschien; Einen Stachel zurücklassen: eine schmerzhafte oder beunruhigende Erinnerung zurücklassen; so Lessing in ›Miß Sara Sampson‹ (IV, 5): »Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar keinen Stachel zurückließen«. Denselben Sinn hat auch: Den Stachel tief in die Seele eindrücken; eine unauslöschliche schmerzhafte Empfindung bewirken; vgl. französisch ›enfoncer l'aiguillon dans la chair‹ (wörtlich: den Stachel in den Leib eindrücken); daher auch: Der Stachel, der im Herzen zurückbleibt oder den man stecken läßt und der immer wieder schmerzt. Einem ein Stachel im Auge sein, heute weitgehend ersetzt durch ›ein Dorn ...‹, ist ebenfalls in der Bibel belegt: »... sie (die Völker) werden euch. zum Stachel in euren Augen. »(Jos 23, 13). Einen Stachel im Maul haben: verletzend, scharf urteilen; danach auch ›Stachel der Satire‹, ›der Kritik‹ wie auch ›Stacheldichter‹, ›Stachelgedicht‹ etc.; umgangssprachlich sagt man auch: Jemandem Stachelbeeren zu verschlucken geben: gegen jemanden sticheln;ebenso heißt es: Behalte deine Stachelbeeren!: unterlaß deine Sticheleien; westfälisch sagt man von verfehlten Sticheleien: ›De Stickelten sind noch nicht riype‹.Wieder anderen Redensarten liegt die Vorstellung von den Stacheln des Igels zugrunde: In die Stacheln beißen, wie der Hund sich an den Stacheln des zusammengerollten Igels verletzt und schließlich von ihm ablassen muß, so zieht sich auch der Mensch unverrichteterdinge wieder zurück, wobei er sich nichts als Schmerzen eingehandelt hat; schon bei Luther heißt es: »das wird uns gelingen wie dem hunde, der ynn die stachel beysset« (Weimarer Ausgabe 19, 637, 19). Die Wendung ›in die Stacheln beißen‹ kann sich auch auf den Wolf beziehen, vor dem der Hirtenhund mit einem Stachelhalsband geschützt wurde.Seine Stacheln hervorkehren: in eine Abwehrstellung gehen, die den anderen verletzt; vgl. französisch ›sortir ses piquants‹ und ›se hérisser‹ (verwandt mit ›le hérisson‹: der Igel); Er geht auf Stacheln: es kommt ihn schwer an, auch französisch verbreitet: ›Il marche sur des épines‹. Rheinisch ›so stachelig wie en Il‹ (Igel) heißt einmal unrasiert, wird dann aber auch übertragen gebraucht für: mit der Abwehr schnell bei der Hand; Glatt wie ein Stachelschwein bezeichnet ironisch einen unrasierten Mann, ebenso niederländisch ›Het is een stekelvarken‹, ›hij is zoo knorrig als een oud stekelvarken‹. Rheinisch sagt man zu einem, der Ungewöhnliches behauptet: ›Mer kann sech och Stacheln öm der Buch (Bauch) driehne (drehen)‹, und von einem Geizhals heißt es: ›Er ließt sich liewer e Stachel durch den Orsch ziehjen, als ...‹• T.Y. MULLINS: Paul's thorn in the flesh, in: Journal of Biblical Literature 76 (1957), S. 299-303; N. LINDQVIST: Hornet i sidan och palen i köttet. Kring en grupp svenska tale sätt (Der Stachel in der Seite und der Pfahl im Fleisch. Zu einer Gruppe schwedischer Redensarten), in: Nysvenska Studier 39 (1959), S. 3847; L. SCHMIDT: Das Stachelhalsband des Hirtenhundes, in: Zwischen Kunstgeschichte und Volkskunde, Festschrift für Wilhelm Fraenger (Berlin 1960), S. 154-181.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.