Pfingsten

Pfingsten
Zu Pfingsten auf dem Eise: nie und nimmermehr, niemals. Die Redensart kommt in dieser Form schon in Luthers Sprichwörter-Sammlung vor. In den volkstümlichen Lügenliedern (z.B.E.B. III, 36ff.) begegnet die Redensart öfters neben anderen Unmöglichkeiten als Zeitbestimmung zu der Begebenheit, daß ein Amboß oder ein Mühlstein über den Rhein geschwommen sei und ein Frosch sie beide verschlungen habe oder ähnliches. Die mitteldeutsche und norddeutsche verbreitete Wendung zu Pflaumenpfingsten meint: wenn es zu Pfingsten reife Pflaumen gibt, d.h. ebenfalls: niemals; vgl. westfälisch ›up Ulepinxte (Eulenpfingsten), wann de Kräjjen op'm Ise danset‹ (oder auch: ›Zu Pfingsten, wenn die Esel auf dem Eis tanzen‹); elsässisch ›zwischen Pfingsten und Straßburg (Hagenau, Basel)‹, nie und nirgends. Zu derartigen redensartlichen Zeitbestimmungen für ›niemals‹ wird vorwiegend eines der drei großen Feste des Jahres, Ostern, Pfingsten oder Weihnachten, benutzt und der Begriff so getroffen, daß damit etwas Unvereinbares zusammengebracht wird, z.B. auch: ›Auf Maienostern‹ (Ostern fällt niemals in den Monat Mai); ›Auf Weihnachten in der Ernte‹; ›Zu Martini, wenn die Störche (und Schwalben) kommen‹ (am 11. Nov. sind die Störche längst weggezogen). Am verbreiteisten ist: Wenn Ostern und Pfngsten auf einen Tag fallen; sächsisch ›da kriegste e paar Backpfeifen, daß de denkst, Ostern und Pfingsten fällt of een Tag‹. Anlaß zu diesen Redensarten hat vielleicht die Beweglichkeit der Termine der beiden Feiertage gegeben, daneben die Erfahrung, daß zu Pfingsten im allgemeinen mit günstigem Frühlingswetter zu rechnen und daher mit diesem Zeitbegriff weniger Zweifelhaftes verbunden ist als bei den anderen Festen, denn ›Weiße Ostern‹ gehören ebenso wie ›grüne Weihnachten‹ nicht zu den meteorologischen Unmöglichkeiten. In Holstein sagt man auch: ›He fiert Pingsten vör Paschen‹ (Ostern), er handelt verkehrt; in Oldenburg: ›Dat sleit in as Pingsten upn Sondag‹.
   Ebenso wie das einfache ›nichts‹ in unzähligen Wendungen eine bildhafte Erweiterung erfährt ( Deut), hat die Volkssprache auch für die Zeitbestimmung ›niemals‹ eine Fülle von redensartlichen Umschreibungen geprägt. Besonders gern sind sie mit fiktiven Heiligentagen oder durch die Perversion von Heiligentagen gebildet worden. Am bekanntesten ist: ›Am St. Nimmerleinstag‹ (auch: ›Auf Sankt Nimmers‹ oder ›Nimmermehrs Tag‹), ferner: ›Uf St. Zilorgentag‹, ›Am Fest der Beschneidung Mariä‹ (nach einem obszönen Schwank), ›Auf Teufels Himmelfahrtstag‹ (Luther). In einem schweizerischen historischen Volkslied von 1335 findet sich die Formel:
   Ich wil uf sant Jüten tag
   Sicher varen von hus.
Dieses Zeugnis ist das älteste Beispiel für eine Redensart, die sonst nur aus Nordwestdeutschland und den Niederlanden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt ist und bedeutet: ›+nordwestdeutscheam Tage der Päpstin Johanna‹. Andere fiktive Daten, die redensartlich für ›niemals‹ stehen, sind: ›Am zweiten Sonntag vor dem ersten Schnee‹ (dessen Eintreten natürlich nicht vorherberechnet werden kann), ›Auf den Sommer über drei Wochen‹, ›Auf den Sommer über acht Tage‹, ›Auf den Mittwoch um drei‹, ›Von zwölf bis Mittag‹, ›Am 32. des Monats‹, ›Auf den 30. Februar‹ (vgl. Erich Kästners Buchtitel: ›Der 35. Mai‹), ›zEhn Jahre hinter dem Jüngsten Tag‹, ›Tausend Jahre (drei Tage) nach der Ewigkeit‹, ›Fünf Minuten vor der Erschaffung der Welt‹, vgl. englisch ›at four o'clock next summer (week, month)‹, ›the first Sunday in the middle of the week‹, ›next moon's day after the week of eternity‹; französisch ›trois jours après jamais‹ (heute veraltet).
   Nicht selten wird das redensartliche Bild in die Form eines Bedingungssatzes gekleidet: ›Wenn zwei Sonntage in eine Woche kommen‹, vgl. französisch ›la semaine des quatre jeudis‹ (wörtlich: in der Woche, die vier Donnerstage hat); ›Wenn die Sonne stillsteht‹, ›Wenn die Sonne in die Hölle scheint‹, ›Wenn der Teufel gen Himmel fährt‹, ›Wenn es Gulden regnet‹, ›Wenn es Katzen hagelt‹, ›Wenn die Katz kräht‹, ›Wenn die Hunde mit dem Schwanz bellen‹, ›Wenn die Böcke lammen‹, ›Wenn die Hennen für sich scharren‹, ›Wenn die Schnecken werden biesen‹ (mittelhochdeutsch bîsen = rennen, wie von Bremsen geplagtes Vieh); vgl. auch französisch ›quand les poules auront des dents‹ (wörtlich: wenn die Hühner Zähne bekommen); ›Wenn die Weiden werden Pflaumen tragen‹, ›Wenn der Main (die Elbe usw.) brennt‹; im Westerwald: ›Wenn't Wasser brennt‹, ›wenn de Rhein de Berg roffleift‹, ›wenn die Woch elf Dach' hot‹, ›wenn de Oos (Ochs) Kälwer macht‹; westfälisch ›wann de swarte Snee fällt un de Lus en Daler gelt‹; hessisch ›wenns Pfannkuche schneit und Buttermilch regnet‹. Die Mundarten kennen manchmal ganze sprichwörtliche Sätze für ›niemals‹, z.B. schlesisch ›aale Liewe rost nee, on wenn se siewa Joahr hinderm Zaune leit‹, ›... on wenn se aach schon zahn Joahr onderm Miste liecht‹, ›... und wenn der Deifel mit seiner Großmutter uf'm Seile tanzt‹.
   Eine große Rolle spielen solche Umschreibungen im Volkslied (das bloße Wörtchen ›niemals‹ erscheint hier zu eindruckslos, zu prosaisch, und es umschreibt darum die Negation in poesievoller Weise), besonders beim Abschied der Liebenden, bei der Versicherung der Treue, den Befürchtungen der Untreue und den Hoffnungen auf ein Wiedersehen, z.B.:
   Wenn es schneit rote Rosen
   Und regnet kühlen Wein ...
   Wenn's Kirschkuchen regnet
   und Bratwürstl schneit ...
   Bis der Birnbaum wird Äpfel tragen,
   Dann soll mein Trauern ein Ende haben.
   Mein Schätzlein, mein Kätzlein,
   O warte nur ein Jahr,
   Und wann die Weiden Kirschen tragen,
   So nehm ich dich fürwahr.
   Wenn das Feuer den Schnee entzündt,
   Wenn der Krebs Baumwolle spinnt,
   Wenn alles Wasser wird zu Wein
   Und Berg und Tal zu Edelstein
   Und ich darüber Herr werd sein,
   Wirst du, fein's Mädle, mein eigen sein.
Viele der älteren Redensarten für ›niemals‹ sind heute in Vergessenheit geraten und nur noch aus literarischen Quellen erschließbar. So verzeichnet Joh. Agricola in seiner Sprichwörter-Sammlung z.B.: ›Das wirt geschehen, wenn der Teuffel von Ach kumpt‹, und erklärt: »Das ist: es wirt nymmermer geschehen. Zu Ach ist ein grosser thurn in der Statmauren, genent Ponellen thurn, darinne sich der Teuffel mit vil wunders, geschrey glocken klingen, vnnd anderm vnfug offtmals sehen vnd horen lest, vnnd ist die sage, er sey hinein verbannet, vnd da muß er bleiben biß an den jungsten tag. Darumb wenn man daselbs von unmöglichen Dingen redet, so sagt man, Ja es wirt geschehen, wenn der Teuffel von Ach kumpt, das ist nymmer mehr«.
   Zahlreiche individuelle, heute oft kaum noch verständliche Varianten bringt Johann Fischart in seinen Dichtungen, z.B.: »An Cuntz Schlauraffen hochzeit, zu nacht bey dem Kälber dantz auff dem Nollsack«, »Auff des karnöffels tag des spielers«, »Auff Lutz Schwolnars tag, der den schlegel frass sechs hasensprung hinder dem Kalkofen«, »An dem tag des würdigen latzenbessers«, »Am tag Heintz lapp den Bapp, des würdigen Würstbuben, zwo stund zwischen Loch und Bruchhausen, in dem Eulenflug«. – Nach der Eroberung von Ofen 1686 wurde Graf Tököly, der nach der ungarischen Krone unter türkischer Oberhoheit gestrebt hatte, aus dem kaiserlichen Lager verspottet:
   Wann fünf König hat einmal
   Die französisch Karten,
   Wärst der nächste in der Wahl,
   Wannst es kannst erwarten.
Schiller benutzt die volkstümliche Verhüllung des ›niemals‹ in den ›Räubern‹ (II,3), wo der Pater beteuert: »So gewiss Kirschen auf diesen Eichen wachsen und diese Tannen Pfirsiche tragen, so gewiss werdet ihr unversehrt diesen Eichen und diesen Tannen den Rücken kehren«; und in der ›Jungfrau von Orleans‹, wo Johanna auf des Dauphins Frage »Und Orleans, sagst du, wird nicht übergeben?« erwidert: »Eher siehst du die Loire zurückfließen«. – Der römische Geschichtsschreiber Sueton (›Augustus‹ 87) erzählt, daß Kaiser Augustus im täglichen Leben gewisse Worte oft wiederholt, z.B. von faulen Schuldnern häufig gesagt habe, sie würden ›ad Calendas Graecas‹ (an den griechischen Kalenden) zahlen. ›Calendae‹ sind im römischen Kalender der erste Tag jeden Monats, ein Zahlungstermin der Römer. Da nun der Grieche diesen Termin nicht kennt und im griechischene Kalender überhaupt keine Kalenden vorhanden sind, so bedeutet ›ad Calendas Graecas‹: ›bis zu einer Zeit, die nie kommen wird‹, auf niemals. Auch diese Wendung ist zweifellos anschaulicher und kräftiger als das einfache lateinisch ›numquam‹.
• ED.: Ein Pfingsten auf dem Eise, in: American Notes and Queries 5,1 (1874), S. 402; O. WEISE: Ad calendas Graezas und Verwandtes, in: Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten 3
(1902), S. 47-51; S. FREUD: Die Verneinung, in: Gesammelte Werke Band 14, S. 9ff.; A. WALLNER: Zwischen Pfingsten und Straßburg, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 64 (1927), S. 95-96; P. SARTORI: Artikel ›Pfingsten‹, in Handbuch des Aberglaubens VI, Spalte 1684-1694; A. TAYLOR: On Tib's Eve, neither before nor after Christmas, in: Studia germanica tillägnade Ernst Allan Kock (Lund 1934), S. 385-386; DERS.: ›Niemals‹ in einem historischen Schweizer Volkslied, in: Volkskundliche Gaben, John Meier zum 70. Geburtstag dargebracht (Berlin – Leipzig 1934), S. 280f.; DERS.: ›Zwischen Pfingsten und Straßburg‹, in: Studies in Honor of John Albrecht Walz (Lancaster [Pa] 1941), S. 21-30; DERS.: Locutions for ›Never‹, in: Romance Philology, Nos. 2 and 3 (1948-49), S. 103-134; O. MENSING: Zur Geschichte der volkstümlichen Verneinung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie. 61 (1936), S. 343-380; L. BERTHOLD: Wenn die Katz kräht, in: Nassauische Blätter, Band V, S. 132f. und 199f.; J. SZÖVÉRFFY: Irisches Erzählgut im Abendland (Berlin 1957), S. 16ff.; J. AMDT: ›Nichts‹ und ›Niemals‹, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde. 8 (1961), S. 118f.; L. RÖHRICH: Gebärde-Metapher-Parodie (Düsseldorf 1967), S. 77ff.; E. WEIHER: Der negative Vergleich in der russischen Volkspoesie (München 1972); W. KÜRSCHNER: Studien zur Negation im Deutschen (Tübingen 1983); A. NOZSICSKA: Die Grammatik der Negation (= Österreichische Akademie der Wiss. 506) (Wien 1988).

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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