Ehre

Ehre
Die Ehre gilt als hohes Rechtsgut, das auf dem Selbstwertgefühl der einzelnen Person und der Achtung und Wertschätzung der Gemeinschaft beruht, heute aber nicht mehr den früheren Stellenwert besitzt. Die Ehre eines Menschen wird verletzt, wenn er z.B. der Unredlichkeit, der Lüge oder des Wortbruchs bezichtigt wird. Auch die Berufsehre (des Offiziers, des Richters, des Pfarrers oder anderer Standespersonen) kann verletzt werden. Oft bezieht sich Ehre nicht so sehr auf den persönlichen Wert eines Menschen, sondern auf seine gesellschaftliche Stellung und die damit verbundenen Rechte und Gewohnheiten sowie das dazugehörende Zeremoniell: Ehrengaben, Ehrenbürgerschaft, Stellung von ›Ehrenjungfrauen‹, Errichtung von ›Ehrenpforten‹ usw. Höhergestellte erwarten von ihren Untergebenen ›Ehrenbezeigungen‹. Sogenannte ›Ehrenhändel‹ (Beleidigungen etc.) wurden häufig durch Duell entschieden (Satisfaktion).
   Allgemein gebräuchlich ist noch Ehre im Leib haben, z.B. in Schillers ›Räubern‹ (I, 2): »Wir sorgten, die Herren werden zu viel Ehr im Leib haben und nein sagen«.
   Auf seine Ehre achten bzw. auf seine Ehre halten waren wichtige Maximen im Leben eines ›ehrbaren Bürgers‹, der stets darauf bedacht war, nichts auf seine Ehre kommen zu lassen und beim leisesten Verdacht seine Ehre (selbst) verteidigen mußte. Denn allzu schnell konnte durch ›ehrenrührige Worte‹, die ihm gegen seine Ehre gingen, ein Makel auf seine Ehre fallen, ein Flecken auf seiner Ehre entstehen, böse Worte seine Ehre kränken, Schimpf und Schande seine Ehre mindern.
   Mit halber Ehre davonkommen: vor Gericht freigesprochen werden, aber dennoch nicht ohne Makel sein. Die schon bei Sebastian Franck belegte Redensart lautet im Niederländischen ›Hij is met halver eere afgekomen‹.
   Jemandem die Ehre abschneiden: jemanden verleumden, lästern, verächtlich machen (vgl. ›Er ist ein Ehrabschneider‹). Man mag dabei an eine Ehrenstrafe der Volksjustiz denken, dem Verleumder das lange Gewand oder aber auch Frauen die Haare abzuschneiden. Ähnlich Seine Ehre verlieren. Die Aberkennung der ›Bürgerlichen Ehrenrechte‹ (u.a. des aktiven und passiven Wahlrechts) kann bei besonders schweren Delikten zusätzlich zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ausgesprochen werden.
   Im Sinne der Unversehrtheit der persönlichen Ehre, insbesondere der Geschlechtsehre, spricht man von Unbescholtenheit.
   Im Sinne der Sexualethik spielt der Begriff die ›Ehre verlieren‹: die Jungfräulichkeit verlieren, noch immer eine Rolle im älteren (und zum Teil noch heute gesungenen) Volkslied; z.B.
   Was gab er dem schwarzbraunen Mädchen für sein Ehr?
   Fünfhundert Kronen und noch viel mehr.
   Weine nicht, weine nicht, brauns Mägdelein!
   Deine Ehr will ich dir zahlen.
In der ›Ballade vom edlen Moringer‹ sagt die Frau zu ihrem nach langer Abwesenheit zurückckehrenden Mann:
   Lasset ewer trawren sein
   Vnd gedenckt euch keines leydes
   Noch hab ich die ere mein.
Einem die letzte Ehre erweisen: ihn zu Grabe geleiten, vgl. französisch ›rendre à quelqu'un les derniers honneurs‹. Jemandem die Ehre erweisen: ihm die Ehre seines Besuchs zuteil werden lassen. Die Wendung gehört zu einer Vielzahl von Formeln, die ihren ursprünglichen Sinn verloren haben und zu nichtssagenden Worthülsen verblaßt sind. Dazu gehört auch die Redensart Ich hatte schon (bereits) die Ehre..., d.h., ich habe Sie schon kennengelernt. (Der folgerichtige Nachsatz: ›Sie kennenzulernen‹ wird dabei als bekannt vorausgesetzt und nicht mehr ausgesprochen.) ›Habe die Ehre‹: Höflichkeitsformel, die vor allem in Österreich als unverzichtbarer Ausdruck der Höflichkeit und Wertschätzung bei der persönlichen Vorstellung gebraucht wird.
   So auch die Floskel ›Um der Wahrheit die Ehre zu geben‹: die Wahrheit sagen.
   Jemanden bei seiner Ehre packen: an sein Gewissen appellieren, aber auch seinen Ehrgeiz herausfordern, um eine Aufgabe, eine Prüfung, eine Hochleistung (im Sport, in der Wissenschaft, Kunst) zu erbringen.
   Die Wendung Ehre mit etwas einlegen: Anerkennung (für sein Engagement, seine gelungene Arbeit, sein originelles Geschenk) finden (verdienen), ist schon seit dem 15. Jahrhundert bezeugt. Biblischer Herkunft ist dagegen die noch immer übliche Feststellung, die höchstes Lob enthält: Ehre, dem (die) Ehre gebührt (Röm 13,7). Diese Wendung begegnet auch in Goethes ›Faust‹ I (Chor in der Walpurgisnacht): »So Ehre dem, wem Ehre gebührt«.
• E. HEINS: Der historische und soziale Gehalt der Ehre (Göttingen 1941); H. REINER: Die Ehre (Darmstadt 1956); K.E. LØGSTRUP: Artikel ›Ehre‹, in: Religion in Geschichte und Gegenwart II (9. Aufl. 1958), 339-341; W. DANCKERT: Unehrliche Leute (Bern und München 1963); K.-S. KRAMER: Grundriß einer rechtlichen Volkskunde (Göttingen 1974) S. 46-60; H. BECK und G. KÖBLER: Artikel ›Ehre‹, in: Real-
lexikon der germanischen Altertumskunde v. Hoops VI, Spalte 500-504; R. SCHEYHING: Artikel ›Ehre‹, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, Spalte 846-849; S. GRAF V. PFEIL: Das Kind als Objekt der Planung (Göttingen 1979); L. RÖHRICH: Das Bild der Frau im Märchen und im Volkslied, in: H.B. Harder und D. Hennig (Hrsg.): Jacob und Wilhelm Grimm zu Ehren (Marburg 1989), S. 35-61.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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