Halm

Halm
Halm in der ursprünglichen Bedeutung als Stengel von Gräsern oder Getreide findet sich in folgenden Redensarten Nach einem (Stroh)halm greifen, Sich an einen Strohhalm klammern: wer in Schwierigkeiten geraten ist, versucht alles, auch wenn es noch so aussichtslos ist, um sich aus seiner Lage zu befreien, ebenso wie der Ertrinkende versucht, sich durch das Greifen eines Strohhalms zu retten. Die Redensart ist auch englisch bekannt ›to grab at a straw‹ sowie schwedisch ›gripa efter ett råddande halmstrå‹. Der Ausdruck ›Mann ohne Ar und Halm‹ wird dem Reichskanzler von Caprivi zugeschrieben; bei ›Ar‹ wird hier jedoch nicht an das Flächenmaß gedacht worden sein, das damals (1893) in Deutschland noch ungebräuchlich war, sondern an das niederdeutsche ›Ahr‹ = Ähre; vgl. die niederdeutsche Redensart, die ein unfruchtbares Gebiet kennzeichnet: ›doa waßt nich Ahr, nich Halm‹.
   Früher weit verbreitet war die Redensart Einem das Hälmlein vorziehen oder Einem das Hälmlein (süß) durch den Mund (das Maul) streichen (ziehen): jemandem schmeicheln, ihm schöntun und ihn dabei betrügen, jemanden um seine gemachten Hoffnungen betrügen. Diese Redensart kann nicht erst, wie meist angenommen wird, aus dem 16. Jahrhundert stammen, denn schon in den mittelhochdeutschen Minnereden (Die Heidelberger Handschriften. 344, 358, 376 und 393, hg. v. Kurt Mathaei, Berlin 1913) steht:
   Beide nu und zu aller stunt
   Zühet sie uns den halm durch den munt.
Spätere Belege finden sich in der ›Zimmerischen Chronik‹ (3, 578): »Die kunten dem gueten herren das helmlin durch das Maul streichen«; bei Hans Sachs (5, 1579, 388): »bawer, du hast mich betrogen, das helmlein durch das maul gezogen« und bei Grimmelshausen (›Simplicissimus‹ 1, 1, 2, S. 8): »... will er damit das hälmlein durchs maul (wie man im sprichwort redet) ziehen, und ihnen solcher gestalt einen lust machen, was für eine gesegnete und edle nahrung sie haben«. Die Erklärung der Redensart ist umstritten. Es scheint ein Scherz mit einem mit Honig bestrichenen Halm zugrunde zu liegen, was gestützt wird durch einen Beleg aus der ›Margarita facetiarum‹ von 1508: »Calamus factus est, quem trahere tibi nituntur per os, si dumtaxat mel haberent, quo liniretur« (ein Rohrhalm ist gemacht worden, den sie dir durch den Mund zu ziehen sich bemühen, wenn sie nur Honig hätten, ihn damit zu bestreichen). Auf einem Holzschnitt zu Kapitel 33 von Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ sieht ein Narr durch die Finger, während ihm die Frau das Hälmlein durch den Mund zieht (Abbildung bei Finger). Andere Deutungen beziehen sich auf ein Kinderspiel, bei dem dem Neuling ein Hälmchen durch den Mund gezogen wird, wobei ihm die Rispen in den Zähnen hängenbleiben; am weitesten entfernt scheint die Erklärung Wanders zu liegen, der die Redensart von den Hühnern herleiten will, denen bei Erkrankung eine Feder zur Heilung durch den Schnabel gezogen werde. Aber vielleicht gibt es eine viel einfachere und näher liegende Erklärung: ›Hälmlein durchs Mäulchen ziehen‹ ist ein immer wieder beliebtes Spiel unter Verliebten auf einer Frühlingswiese. Das mit den Lippen zu berühren, was auch die Liebste koste, schmeckt ›süß wie Honig‹.
   Die Redensart ist heute noch z.B. in der erzgebirgischen Mundart zu finden sowie auch schweizerisch ›eim 's Hälmli durch's Mul ziehn‹ und schwäbisch ›der weiß, wie ma de Leut 's Hälmle durchs Maul streicht‹. Das Französische kennt eine ähnliche Redensart: ›passer à quelqu'un la plume par le bec‹ (veraltet oder nur örtlich gebräuchlich): einem die Feder durch den Schnabel ziehen; übertragen: ihn um die gemachten Hoffnungen betrügen.
   In der Schweiz gibt es ein sogenanntes ›Hälmliziehe‹. Es handelt sich dabei um ein Ausscheidungsspiel, bei dem die Länge des Halms den Ausschlag gibt.
   Der Halm als Mittel bei einem Losentscheid ist vor allem in der elliptischen Wendung ›Den kürzeren ziehen‹ ( kurz) noch zu finden, die auf ein altes Den kürzeren Halm ziehen zurückgeht; vgl. französisch ›tirer à la courte paille‹. Die vollständigere Form begegnet uns noch rheinisch ›et gröttste Hälmke trecken‹, das größte Glück haben; schwäbisch ›'s best Hälmle‹, der beste Teil bei der Heirat, also schon in sehr spezieller Bedeutung und fast völlig von der ursprünglichen Loshandlung abgehoben.
   In anderen Redensarten bedeutet Halm etwas Geringfügiges, Kleines, um Größenunterschiede besonders deutlich zu machen ( Haar), so bei Klopstock: »Um keinen Halm«, um nichts; Über ein Hälmlein fallen: sich an einer Kleinigkeit stoßen; schweizerisch ›es ist mer kei Halm drum‹, ich gebe nichts dafür, vgl. französisch ›je n'en donnerais pas une paille‹; häufiger ist das Bild Bäume wie (Stroh-)Halme umknicken.
   Früher gebräuchlich war die Redensart Sich leiden (d.h. Geduld haben) wie der Halm auf dem Dache: wie das Stroh auf dem Dach, das alle Unbilden des Wetters ertragen muß, die des Lebens ertragen; so bei Sebastian Franck, (›Sprichwörter‹ [1541] 2, 76): »disz allein seindt arm leut, die leiden sich etwa ... wie der halm auf dem tach«.
   Ebenfalls ungebräuchlich geworden ist rheinisch ›einen op de Hälm legen‹, einen Toten aufs Stroh legen.
   Die Hälmlein aus dem Stroh lesen ist eine verbreitete Redensart für eine unnütze Arbeit, aber auch für eine Arbeit, die niemanden etwas angeht; z.B. rheinisch ›Hälm ut dem Strüh söken‹; vgl. auch ›Hafer aus Pferdeäpfeln lesen‹.
   Im Mittelalter spielte der Halm als Rechtssymbol eine große Rolle. Seine Nennung in Verbindung mit einem anderen Rechtszeichen versinnbildlichte z.B. einen Erbverzicht (mit Holz und Halm) oder diente zur Bekräftigung eines mündlich geschlossenen Vertrages (z.B. in der Urkundenformel: ›mit hand, halm und mund‹), Hand.
• K. HECKSCHER: Artikel ›Halm‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens III, Spalte 1357-1362; R. SCHMIDT-WIEGAND: Artikel ›Halm‹, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, Spalte 1911-1913; Strafjustiz in alter Zeit (Rothenburg o.d.T. 1980), S. 314.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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