Hals

Hals
wird in vielen bildlichen Redensarten gebraucht, die zumeist ohne weiteres verständlich sind, z.B. Einen langen Hals machen; Den Hals recken: spähend ausblicken; Sich einem Manne an den Hals werfen: sich ihm aufdrängen (von einem Mädchen gesagt); Um den Hals fallen (aus zärtlicher Liebe); vgl. französisch ›se jeter au cou de quelqu'un‹; rheinisch sagt man von einer Person, die die Liebenswürdigkeit übertreibt: ›Sie fellt em met den Benen om den Hals‹.
   Jemandem mit etwas vom Halse bleiben: ihn mit einer unangenehmen Sache verschonen; Jemandem einen auf den Hals schicken: ihm einen lästigen Besucher zuschicken; vgl. französisch ›envoyer quelqu'un sur le dos de quelqu'un‹ (wörtlich: jemandem einen auf den Rücken schicken); oder der drastische redensartliche Vergleich Aus dem Hals riechen (stinken) wie die Kuh aus dem Arsch: üblen Mundgeruch ausströmen.
   Es geht über Hals und Kopf, meist abgekürzt Hals über Kopf: in toller Hast. Dem Bild dieser Redensart liegt die Stellung des Halses gegenüber dem Kopf zugrunde; sie meint eigentlich den Hals vor den Kopf setzen und sich so überschlagen. Grimmelshausen schreibt im ›Simplicissimus‹ (II, 273): »daß ich nicht unbehend auf den darbey stehenden Tritt sprang, aber in einem Hui über Hals und Kopf herunter purtzelte«; in anderer Form 1696 bei Chr. Reuter im ›Schelmuffsky‹ (S. 27): »Wie sprung mein Herr Bruder Graf nackend aus dem Bette heraus und zog sich über Halß über Kopff an«. Vielleicht liegt der heutigen Form der Redensart aber auch eine frühere derbere Form zugrunde, wie folgende Wendungen vermuten lassen: »über ars und kopf bürzlen« (bei Johann Fischart), westfälisch ›Ärs öewer Kopf‹, schweizerisch ›Häupt über Arsch‹, mecklenburgisch ›Oever Kupp un Nars‹. Vielleicht ist das anstößige Wort, das sich in allen mundartlichen Formen der Redensart noch findet, erst hochsprachlich durch Hals ersetzt worden; vgl. englisch ›heels over head‹; Arsch.
   In vielen Wendungen ist der Hals als der Träger einer Last, eines Joches zu verstehen: Etwas (jemanden) auf dem Halse haben: mit etwas Unangenehmem (mit jemandem) beladen sein; vgl. französisch ›avoir quelqu'un sur le dos‹ (auf dem Rücken); ›Sich etwas auf den Hals laden‹, ähnlich Einem auf dem Hals liegen. Die Redensart tritt z.B. bei Luther auf, auch bei Oldecop (S. 44): »De forcht (Furcht) hadde de Türken lange up dem Halse gelegen«. Dieser Zustand, daß man etwas auf dem Hals hat, kann verschiedenen Ursachen entspringen. Man kann z.B. Sich selbst etwas auf den Hals ziehen; niederländisch ›hij heeft het sich zelven op den Hals gehaald‹, er hat sein Unglück selbst verschuldet. Schuppius (›Lehrreiche Schriften‹ [1684], S. 165): »Indem er sich vielleicht mit Huren geschleppt und dadurch diese Krankheit an Hals gezogen hab«. Oder Sich etwas an den Hals saufen; Schoch (›Comedia vom Studentenleben‹ [Leipzig 1657]): »daher er ihm eine Krankheit an den Hals gesoffen«. Oder Sich etwas an den Hals ärgern; Lessing (1, 355): »Ich fürchte, daß ich mir noch die Schwindsucht über dein Plaudern an den Hals ärgern werde«. Das ist ein Halsstreich des Teufels sagt man von einem unerklärlichen Übel. Luther (III, 460): »Das ist nicht eine natürliche Krankheit, sondern ein Halsstreich des Satans«. Auch: Es kommt einem über den Hals: es überrascht einen unangenehm, es ist unwillkommen. Die Wendung ›Einem über den Hals kommen‹ gebraucht bereits Luther in seiner Bibelübersetzung, sie ist auch mundartlich bezeugt, z.B. schlesisch ›es kommt über den Hals wie ein groß Wasser‹. Die entschiedene Ablehnung Bleib mir vom Halse! ist ebenfalls bei Luther und später vielfach belegt, z.B. bei Kotzebue (›Werke‹ 9, 170-1790): »bleib mir mit den vornehmen Verwandtschaften vom Halse«. Die Redensart Sich etwas vom Halse schaffen ist auch literarisch z.B. von Schiller (›Kabale und Liebe‹ I, 5) verwendet worden: »daß er sich seinen Nebenbuhler gerne vom Halse geschafft hätte, glaube ich ihm herzlich gerne«.
   Der Hals ist einer der für Leben und Gesundheit wesentlichsten Körperteile. Hals- und Beinbruch! wünscht man jemandem ironisch, wenn man abergläubisch ein solches Mißgeschick abwenden will (analog wünscht man auf Segelschiffen: ›Mast- und Schotbruch!‹. Der unverhüllt ausgesprochene Glückwunsch dagegen würde Unglück bringen. ›Hals- und Beinbruch!‹ ist vor allem ein freundlich gemeinter Gruß aller Künstler von Bühne und Podium. ›Hals und Bein‹ steht oft formelhaft zusammen. Trotz des Volksglaubens, wonach man das Gute nur herbeischwören kann, indem man scheinbar das Böse herbeiwünscht, kommt die Zwillingsformel aus dem Hebräischen und heißt ursprünglich ›hazlóche un bróche‹ (hazlachá = Glück, b'racha = Segen). Sie wird auch heute noch von den Juden in dieser Form hebräisch sowohl wie jiddisch oft verwendet (S. Landmann, S. 87).
   Hals und Hand ist eine alte Rechtsformel bei Verurteilungen. Auf die Todesstrafe des Hängens und Köpfens – beide werden am Hals des Menschen vollzogen – beziehen sich die Redensarten Das bricht ihm den Hals, Es geht ihm an den Hals, Es kostet ihn den Hals: das richtet ihn zugrunde, das bringt ihn zu Fall, damit ist er einer Schuld sicher überführt. Die Wendung ist schon mittelhochdeutsch bezeugt: »daz ez im an den hals gât, swer ein kint ze tôde slât«.
Ähnlich Sich um den Hals reden: durch Reden eine strafbare Handlung begehen, beim Versuch, sich zu verteidigen, tatsächlich die Anklage bestätigen oder ein bisher nicht bekannt gewordenes Vergehen offenbaren; Den Hals aus der Schlinge ziehen: sich aus einer Affäre herausreden; Das wird (ihn) den Hals nicht kosten: es ist nicht sonderlich schlimm. Bildlich übertragen kann man auch Dem Radio den Hals abdrehen: das Rundfunkgerät ausschalten, oder Einer Flasche den Hals brechen: sie entkorken, öffnen. Von einem stark Verschuldeten sagt man wie von einem beinahe Ertrinkenden Die Schulden gehen ihm bis an den Hals ( Hutschnur); vgl. französisch ›Il est dans les dettes jusqu'au cou‹.
   Der Hals als oberster Teil der Ernährungsorgane ist gemeint in den Wendungen: Er kann den Hals nicht voll genug kriegen: nicht genug bekommen können (nicht nur an Speise, sondern auch an Lohn, Vergnügungen usw.), geldgierig sein; Etwas bis zum Halse haben: einer Sache gründlich überdrüssig sein; Das steht mir bis hierher (wobei man die Halshöhe mit der Hand andeutet): ich bin einer Sache überdrüssig; Etwas in den falschen (verkehrten) Hals (bekommen) kriegen: etwas gründlich mißverstehen; die Redensart bezieht sich auf die Luftröhre, die heftig reagiert, wenn Speiseteile versehentlich hineinkommen; vgl. französisch ›Il a avalé de travers‹, nur im Sinne von: Er hat sich verschluckt; Etwas hängt (wächst, kommt, steht) einem zum Halse heraus: einer Sache gründlich überdrüssig sein; vgl. französisch ›J'en ai plein le dos‹ (wörtlich: Ich habe den Rücken voll).
   Es kommt tatsächlich vor, daß Tieren, die sich überfressen, das letzte Stück zum Halse heraushängt; wenn das Federwild das zuviel Gefressene wieder ausspeit, nennt das der Jäger ›Das Geäs aushalsen‹. Schwäbisch ›den Hals strecken müssen‹, zum Brechen gereizt werden; schweizerisch ›en lange Hals übercho‹, lange warten müssen, ›eim en lange Hals mache‹, ihn lange warten lassen; vgl. französisch ›allonger le cou‹.
   Jemandem in den Hals gucken: ihn zur Rede stellen. Im Osnabrücker Raum: ›Dem werde ich mal gehörig in den Hals gucken!‹ So angedroht, wenn einer sich an Abmachungen (Vereinbarungen) nicht hält.
   Der Hals als Sprachorgan ist gemeint in Redensarten wie Einem den Hals stopfen: ihn zum Schweigen bringen; Das Wort blieb ihm im Halse stecken; In seinen Hals lügen: sich selbst mit einer Lüge betrügen, zum Beispiel 1536 in Paul Rebhuns Drama ›Susanna‹:
   Gots vrteyl sol dich recht erhaschen,
   dann du in deinen hals thust liegen,
   damit du dich wirst selbst betriegen.
Doch gilt die Wendung auch nur als Verstärkung des Begriffes ›lügen‹; so in Lessings Sinngedicht ›Velt und Polt‹: »Das leugst du, Polt, in deinen Hals«.
   Mecklenburgisch ›He ritt den Hals allerwärts äwer apen‹, er meckert über alles.
   Kleine Sprachhemmungen oder -fehler haben in den Mundarten viele verschiedene bildliche Redensarten bewirkt, z.B. rheinisch ›e Krott im Hals haben‹, eine rauhe Stimme, einen belegten Hals haben, oder einfach Es im Hals haben: Halsweh haben; ›ä Rädche im Hals haben‹, das »R« schnarrend aussprechen, kölnisch ›en Ädäppel im Halse haben‹. Eine Halsuhr bei sich tragen: einen Kropf haben.
   Ein Ausdruck aus der Jägersprache: mit Hals und Horn jagen bedeutet: mit Rufen und Blasen jagen. Laber (›Jagd‹ 446):
   vom hals und mit dem horne
   jag ich so mangen stunden
   in Sun und auch mit zorne.
Schlesisch ›'n helle hals haben‹, eine laute Stimme haben; hochdeutsch ›lauthals‹ schreien. Schlesisch ›den Hals opslagen‹, sehr weinen. Von einem Großmaul sagt man schlesisch ›Hei het de Hals jümmer apen‹.
   Schwäbisch sagt man von jemandem, der ständig zum Fenster hinausschaut ›Er hat's Fenster am Hals‹
oder alemannisch ›'s Hus an Hals henke!‹ Euphemistisch mecklenburgisch ›n'hämpen Halsband umkriegen‹, gehängt werden. So bei Abraham a Sancta Clara (›Judas‹ II, 4): »Mit des Seilers Hals-Tuch beschenkt werden«.
   Dann steh ich da mit dem gewaschenen Hals: dann ist alles umsonst, dann bin ich der Blamierte, der Bloßgestellte, der Dumme. Die Redensart ist der Schlußsatz eines jüdischen Witzes, in dem die Mutter den kleinen Moritz auffordert, sich den Hals zu waschen, weil die Tante zu Besuch komme. Der Sohn antwortet darauf: »Und wenn die Tante nicht kimmt, steh ich da mit dem gewaschenen Hals!«
   Welche an den Hals kriegen: Schläge bekommen. ›Aus vollem Halse schreien‹, lautstarke Töne von sich geben.
   Auch in mundartlichen Wendungen spielt der Hals eine große Rolle. So wird z.B. auf die Wichtigkeit des Halses aufmerksam gemacht in einem scherzhaften Wortspiel, das die Beziehungen zwischen Kopf (Haupt) und Hals in recht überzeugender Weise regelt: ›»Ja, der Ma ist's Haupt, aber i bi der Hals; i ka'n drehe, wie i will«, sagt das Weib‹.
• H. SCHRADER: ›Hals über Kopf‹ oder: ›Über Hals und Kopf?‹, in: Zeitschrift für deutsche Sprache 6 (1892/93), S. 256-257; A. BAUER: ›Hals über Kopf‹ oder: ›Über Hals und Kopf?‹, in: Zeitschrift für deutsche Sprache 7 (1893/94), S. 101-104; H. SCHRADER: ›Hals über Kopf‹, in: Zeitschrift für deutsche Sprache 7 (1893/94), S. 194-195; H. BÄCHTOLD-STÄUBLI: Artikel ›Hals‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens III, Spalte 1362-1366; J. SCHWARZ: ›Hals- und Beinbruch‹, in: Sprachpflege 18 (1969), S. 43.
An den Hals gehen. Holzschnitt von 1535: Ein Gläubiger faßt einen Bürgen am Hals und reißt ihm den Mantel herunter, zum Zeichen der Pfändung. Aus: Hans Fehr: Das Recht im Bilde, Erlenbach-Zürich, München und Leipzig 1923, S. 120, Abbildung 203.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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  • Hals — Hals. Der Hals (anat.: Collum) ist das Körperteil eines Lebewesens, das Kopf und Rumpf miteinander verbindet. Er ist mit seinen verschiedenen zu erfüllenden Funktionen ein komplexes Gebilde, das auch eine gefährdete Engstelle darstellt.… …   Deutsch Wikipedia

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