- Heiliger
- Ein wunderlicher (komischer, seltsame) Heiliger ist ein Sonderling, ein Mensch mit unüblichen Gewohnheiten; vgl. niederländisch ›een rare, vreemde, ruwe Apostel‹. Der Ausdruck beruht auf Ps 4,4: »Erkennet doch, daß der Herr seine Heiligen wunderbar führet«. ›Wunderlich‹ meint ›wunderbar‹, d.h. auf wunderbare Weise, dann auch ›wundertätig‹ und schließlich ›absonderlich‹. Die Redensart ist seit dem 17. Jahrhundert bezeugt, z.B. bei Abraham a Sancta Clara (›Judas‹ III, 174): »Für einen selzamen Heiligen halten«, vgl. ebd.: (IV,157): »Es gehet ihm nichts ab, als der Schein, sonst wäre er Heilig«. Die Redensart spielt darauf an, daß im volkstümlichen Denken das Hauptinteresse gern auf äußere und sinnfällige Tatsachen, mehr auf die Wunder eines Heiligen, als auf sein asketisches Leben und heroisches Sterben gelegt wird. Eine ähnliche Wendung findet sich bei Luther im ›Sendbrief vom Dolmetschen‹: »Es ist dolmetzschen ja nicht eines iglichen kunst, wie die tollen Heiligen meinen«; vgl. die Wendung ›Ein toller (wunderlicher) Christ‹, ⇨ Christ.Er ist ein ganz besonderer Heiliger: Er ist ein scheinheiliger Frömmler.Er ist kein Heiliger: er führt ein lockeres Leben; vgl. französisch ›Ce n'est pas un saint‹; ähnlich ›Er ist nicht gar so heilig, wie er tut‹. Ironisch ›Er ist heilig wie eine Wolfsklaue‹, ›Er ist nicht so heilig wie jener Einsiedler, der den Hintern von Hornissen fressen ließ‹. ›Er will noch heilig werden bei lebendigem Leib‹ ist ein Spott auf einen Frömmler und Scheinheiligen. ›Er ist so heilig, daß man ihm ein Kreuz vorträgt‹, er wird begraben.Die Heiligen vom Himmel herunterschwören: sehr viel schwören (vgl. ›Das Blaue vom Himmel herunterlügen‹, ⇨ blau).Seine Heiligen aufgezählt kriegen: in der Schule durchgeprügelt werden (z.B. in Gotthelfs ›Bauernspiegel‹), geht ebenso wie bairisch ›seinen Heiligen kriegen‹ (einen Verweis erhalten) darauf zurück, daß Priester und Lehrer den Kindern die Bilder ihrer Namenspatrone mit einer pädagogischen Ermahnung zu schenken pflegen. ›Dir geht's noch mal wie den Heiligen Drei Königen‹ ist eine lokale Kölner Verspottung und Drohung.›Etwas hoch und heilig versprechen‹ ⇨ hoch.›Heiliger Bürokratius‹, ›Heiliger Bimbam‹, ›Heiliger Strohsack‹, ›heilig's Blechle‹ sind scherzhafte Anrufe nur fiktiver Heiliger. Ähnlich wie die Wendung ›liebes Herrgöttle‹ drücken sie Erstaunen, Erschrecken, Verwunderung oder Unwillen aus und enthalten dabei zumeist einen spöttischen Tadel. Häufig hört man auch lateinische Formeln wie ›Sancta Simplicitas‹ (heilige Einfalt), ein Ausruf, den nach Zincgref- Weidners ›Apophthegmata‹ (Amsterdam 1653) 3,383 Johann Hus (1369-1415) auf dem Scheiterhaufen ausgerufen haben soll, als er sah, wie ein Bauer in blindem Glaubenseifer sein Stück Holz zu den Flammen herbeitrug.Bekannt ist auch die redensartliche Erweiterung einer Heiligenanrufung: ›Heiliger Sankt Benedikt, ich bin schon wieder eingenickt‹, die in Abwandlung einer Gebetslitanei als scherzhafte Selbstermahnung zu verstehen ist.• F. PFISTER: Artikel ›heilig‹, in: Handbuch des Aberglaubens III, Spalte 1655-1668; DERS.: Artikel ›Heilige‹, in: Handbuch des Aberglaubens III, Spalte 1668-1673; H. SCHAUERTE: Die volkstümliche Heiligenverehrung (Münster 1948); K. KUNZE: Artikel ›Heilige‹, in: Enzyklopädie des Märchens VI, Spalte 666-677.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.