Huhn

Huhn
Huhn ist eine beliebte, harmlose Schelte, z.B. Ein armes, blindes, krankes, dummes, verrücktes Huhn; auch einfach Bezeichnung für einen Menschen: Ein fideles, gemütliches, gelehrtes Huhn. Das Huhn rupfen, ohne daß es schreit: mit Geschicklichkeit erpressen und ohne Klagen zu erregen. Das Huhn, das goldene Eier legt, schlachten: sich seiner eigenen Lebensgrundlage begeben; sich selbst den Ast absägen, auf dem man sitzt; vgl. dazu das Märchen Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 60 sowie die niederländische Redensart ›de kip met de gouden eieren slachten‹; französisch ›il en fait comme de la poule œufs d'or‹. Jean de La Fontaine (1621-95) erzählt dazu folgende Fabel über ›Die Henne mit den goldenen Eiern‹:
   Wer alles haben möchte', muß alles oft verlieren.
   Euch ein Exempel statuieren
   Will ich an jenem Mann nun aus dem Fabelreich.
   Dem täglich hat sein Huhn ein goldenes Ei gelegt.
   Er glaubt, daß einen Schatz in sich die Henne trägt.
   Und schlachtet sie, doch sieht, daß innen sie ganz gleich
   Ist jedem Huhn, von dem wertlose Eier kommen.
   So hatte er sich selbst sein schönstes Gut genommen.
   Für Knicker eine gute Lehre!
   Wie hat in letzter Zeit man doch so
   oft erlebt, Daß über Nacht verarmt so mancher, der gestrebt,
   Daß sich zu schnell sein Reichtum mehre.
Grüße die Hühner: scherzhafte Bemerkung bei der Verabschiedung (seit dem 18. Jahrhundert belegt).
   Alle Hühner und Gänse von jemandem wissen: seine Verhältnisse genau kennen, besonders obersächsisch, seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bezeugt.
   Meiner Hühner wegen können meine Gänse barfuß gehen: redensartliche Umschreibung von meinetwegen (vgl. ›Gänse beschlagen‹).
   Er sitzt da, als ob ihm die Hühner das Brot gefressen hätten: niedergeschlagen und ratlos.
   Mit den Hühnern (Hinkel) zu Bett gehen: sich zeitig, mit Sonnenuntergang, schlafen legen; vgl. französisch ›aller se coucher comme les poules‹; dazu das Sprichwort ›Wer mit den Hühnern zu Bette geht, kann mit dem Hahn aufstehen‹; auch in gereimter Form:
   Früh mit den Hühnern zu Bette,
   Auf mit dem Hahn um die Wette.
   Da(rüber) lachen ja alle Hühner (oder: die ältesten Hühner, Suppenhühner): das ist ja töricht, lächerlich. Die Wendung ist erst in neuerer Zeit aufgekommen.
   ›Der muess bald em Mesner sei Hühner hiete‹ sagt man schwäbisch von einem Sterbenden; ähnlich im Kanton Wallis: ›Willst du St. Michaels Hennen hüten?‹ Die Redensart geht davon aus, daß früher die Hühner des Mesners ihren Auslauf auf dem Friedhof hatten (vgl. Das Zeitliche segnen), zeitlich.
   Die Hühner melken wollen: etwas Vergebliches unternehmen wollen. Die Redensarten von der ›Hühnermilch‹ (auch: Bocksmilch) sind weit verbreitet und gehen bis auf die Antike zurück (Singer I, 173). Niederländisch ›de hennen melken‹; sowie das flämische Sprichwort: ›Dat hy dan ook de hanen melken ga‹. Luther schreibt »Ein ander von blaw enten, ein ander von hünermilch« im Anschluß an das antike lac gallinarum (Plinius: nat. hist. praef. 24; Petron, cap. 38), entsprechend griechisch gala orniton; ›Gänsemilch‹ schon 1478 bei Hans Folz in dem Spiel von einem griechischen Arzt: »Zwen drünck aus einr leren krawsen Gemischt mit allter gens milch« (›Fastnachtsspiele‹ S. 1201).
   Mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen (auch zu pflücken) haben: noch etwas mit ihm auszutragen haben, ihn noch wegen einer Sache, die nicht so hingehen soll, zur Rede stellen wollen. Die Redensart ist seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts belegt, doch kommen verwandte Wendungen schon wesentlich früher vor, z.B. bei dem Dichter Christian Weise
(1 642-1 708; ›Böse Catharine‹): »Hilf mir Lerchen pflocken. Wer dich nicht zufrieden läßt, dem schmeiß die Federn in die Augen«. Gleichbedeutend sind die Redensarten: ›Ich habe mit ihm noch ein Ei zu schälen‹, ›Eine Rübe zu schaben‹, ›Ich habe einen Apfel mit ihm zu schälen‹; ähnlich französisch ›nous avons une pomme à peler ensemble‹ (veraltet), dafür: ›avoir un compte à régler avec quelqu'un‹ (wörtlich: mit einem abrechnen müssen); englisch ›to have a crow to pluck with someone‹,1460 bei Towneley Myst. XVIII 311: »Na, na abide, we haue a craw to pull«; 1590 bei Shakespeare Com. Err. III.i. 83: »If a crow help us in, sirra, wee'l plucke a crow together«; ›Ich habe eine Krähe mit ihm zu pflücken‹; rheinisch ›ich han mit dem noch e Nößche zu krachen‹, »Doch nächstens pflücken wir ein Sträußchen« (Hebbel), und, allerdings mit abweichender Bedeutung, »wie ... sie sich zu beth fügten und mit einander das genßlein ropfften« (Montanus, ›Schwankbücher‹, hg. von Bolte, 80).
   Den Anlaß zum bildlichen Gebrauch aller dieser Redensarten hat die gemeinsam geübte scharfe, verletzende Tätigkeit gegeben (pflücken, schälen, schaben, knacken). Bei der Erklärung der Redensart ist auch davon auszugehen, daß das Wort rupfen in früherer Zeit häufig im Sinne von tadeln, schelten, schmähen (carpere) gebraucht wurde. »Lass mich ungerupft«
ruft bei Hans Sachs die Hausmagd der Wochenwärterin zu. Bei solcher Bedeutung des »rupfen mot worten und wercken« (H. Sachs: ›Heinz Widerborst‹, 92) mußte der Gedanke an das Huhn naheliegen.
   Er sieht aus wie ein krankes Hühnchen: kümmerlich; Er nährt sich wie Müllers Hühnchen: er lebt auf Kosten anderer (wie die Hühner des Müllers, die angeblich von fremdem Korn leben), Fuchs.
   Herumlaufen wie ein Huhn, das ein Ei legen will und weiß nicht wo, ist vor allem dann gebräuchlich, wenn jemand planlos umherläuft, um etwas zu suchen. Ähnlich: Sie laufen herum wie aufgescheuchte Hühner (Hinkel, Dollhinkel). Aus dem Hühnerhof stammt auch ein weiterer redensartlicher Vergleich, der heute noch gerne verwendet wird, wenn man mehrere Personen nebeneinander sieht, die aussehen Wie die Hühner auf der Stange, z.B. wenn sie auf einem Holzstamm sitzen.
• J. FRANCK: Die deutschen Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten über das Geflügel seit den ältesten Zeiten, in: Tauben- und Hühner- Zeitung (Berlin 1861); A. HAUSENBLAS: Zur Erklärung der Redensart ›Mit jemandem ein Hühnchen rupfen‹, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 7 (1893), S. 765-767; A. GÖTZE: Alte Redensarten neu erklärt, in Zeitschrift für deutsche Worfelder 4 (1903), S. 331f.; H. WILLERT: ›Über bildliche Ausdrücke‹, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 18 (1904), S. 506-508; A. HAAS: Huhn und Hahn im pommerschen Sprichwort, in: Pommerscher Heimatkalender (Greifswald 1924), S. 59ff.; O. K HOFFMARNN: ›Zwei Redewendungen aus dem germanischen Rechtsleben: Es kräht kein Huhn und kein Hahn danach, Er ist auf den Hund gekommen‹, in: Zeitschrift für deutsche Bildung 12 (1936), S. 192-195; K RODIN: Artikel ›Hahn, Huhn‹, in: Enzyklopädie des Märchens VI, Spalte 370-376.
Das Huhn, das goldene Eier legt, schlachten. Grandville: G.W., Bd. 1, S. 510.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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  • Huhn — (s. ⇨ Henne). 1. Ae jeder muss seine Hihner salwer trampen. – Lohrengel, II, 5. 2. Ae lûs (kluges, pfiffiges) Hohn läät og alt ens en de Bröönässle. (Düren.) – Firmenich, I, 482, 21. 3. Alte Hühner legen nicht mehr. 4. Alte Hüner, die nicht… …   Deutsches Sprichwörter-Lexikon

  • Huhn — Huhn: Im Ablaut zu gemeingerm. *hanan »Hahn« (vgl. ↑ Hahn) steht germ. *hōnes »Huhn«, auf das mhd., ahd. huon, asächs. hōn, niederl. hoen (vgl. auch die nord. Sippe von schwed. höns »Huhn«) zurückgehen …   Das Herkunftswörterbuch

  • Huhn — [Basiswortschatz (Rating 1 1500)] Auch: • Hähnchen • Hühner... Bsp.: • Wir essen nur Eier von unseren eigenen Hühnern. • Meine Mutter gab mir Hühnersuppe zu essen, wenn ich krank war. • Ich möchte gerne etwas mit Huhn, denke ich …   Deutsch Wörterbuch

  • Huhn — (Kammhuhn, Gallus L.), Gattung der Hühnervögel aus der Familie der Fasanen (Phasianidae), Vögel mit fleischig häutigem Kamm und zwei Kinn oder Kehllappen (an beiden Unterkiefern, selten nur einem in der Mitte des Kinnes). Die Flügel sind kurz und …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Huhn — Sn std. (9. Jh.), mhd. huon, ahd. huon, as. hōn, hān Stammwort. Aus g. * hōnaz n. Huhn , auch verbaut in anord. hœns n., hœnsni Pl. (u.ä.). Dehnstufige Zugehörigkeitsbildung (Vriddhi) zu Hahn, also das zum Hahn Gehörige . ✎ Darms (1978), 122 133; …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Huhn — Huhn, 1) (Gallus Illig, Alector Bechst.), bei Cuvier Untergattung aus der Gattung Fasane, Ordnung der Hühnerartigen; Schnabel mäßig, dicklich gewölbt, Oberkiefer gekrümmt, auf dem Kopfe ein Kamm, an der Kehle zwei Lappen, nackte Backen u.… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Huhn — Hühnerrassen …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Huhn — (Gallus), Vogelgattung aus der Ordnung der Hühnerartigen, mit einem fleischigen Kamm oder Federbusch auf dem Kopf und Fleischlappen am Unterschnabel, der Schwanz in 14 langen dachförmig oder in zwei sich berührenden Ebenen aufgerichteten Federn;… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Huhn — das; [e]s, Hühner …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Huhn — Leghenne; Legehenne; Henne; Hendl (umgangssprachlich) * * * Huhn [hu:n], das; [e]s, Hühner [ hy:nɐ]: a) größerer, kaum flugfähiger Vogel mit gedrungenem Körper und einem roten Kamm auf dem Kopf, der wegen der Eier und des Fleisches als Haustier… …   Universal-Lexikon

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