- Lebenslicht
- Einem das Lebenslicht ausblasen (auspusten): einem das Leben nehmen, so auch mundartlich z.B. ›heute werd dir de Lompe ausgeblosa‹. Der Tod hat ihm das Lebenslicht ausgeblasen: er ist gestorben. Er ist ausgegangen wie ein Licht (Lichtlein) sagt man von einem schmerzlos Verschiedenen. Ähnlich ›Das Leben verlischt‹; ›Der Lebensfunken glüht‹. Das Lebenslicht wird humorvoll zur ›Lampe‹ in der berlinischen Redensart einen auf die Lampe gießen: Alkohol trinken, sozusagen um die Brenndauer des Lebenslichtes zu verlängern, ›Solange noch das Lämpchen glüht‹. (Vgl. den Schlager »Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht!«), ⇨ Lampe.Seit alten Zeiten glaubt man das Leben des Menschen an ein Licht gebunden. Zwischen beider Dauer bestehen sympathetische Beziehungen: stirbt der Mensch, erlischt auch sein Lebenslicht und umgekehrt. In der Volksüberlieferung ist diese Vorstellung allgemein bekannt, und in sprichwörtlichen Redensarten hat sie sich bis heute erhalten. Schon die Israeliten sahen das Leben als Funken und Licht (1 Kön 11,36; 15,4), das Sterben als Erlöschen (2 Sam 14,7; 21,17) an. Die griechische Kunst stellte den Tod mit der umgestürzten, erloschenen Fackel dar (vgl. Lessings Abhandlung ›Wie die Alten den Tod gebildet‹). Dazu sind die sprachlichen Wendungen im Lateinischen heranzuziehen, die ›lux‹ bzw. ›lumen‹ im Sinne von Lebenslicht enthalten, z.B. ›lucem exhalare‹. In diesen Umkreis gehört auch die Sage von Meleager, dem bei der Geburt verkündet wurde, er werde so lange leben, bis das auf dem Herde soeben angezündete Holzscheit vom Feuer verzehrt sein werde. Ebenso ist in der germanischen Sage das Leben des Nornagest an das Verlöschen einer an der Wiege brennenden Kerze gebunden. Im Grimmschen Märchen vom ›Gevatter Tod‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 44) brennen in der unterirdischen Höhle des Todes tausend und aber tausend Lichter, deren Länge sich richtet nach der Lebensdauer, die dem einzelnen Menschen noch beschieden ist. Die Lebenslichtvorstellung spielt auch im brauchtümlichen Leben bis heute eine Rolle: So viele Lebensjahre das Kind zählt, so viele Kerzen werden ihm auf den Geburtstagskuchen gesteckt. Das in der Mitte stehende Lebenslicht darf nur das Geburtstagskind selbst ausblasen. In anderen Gegenden darf man die Lichter vom Geburtstagskuchen überhaupt nicht ausblasen, schon gar nicht das in der Mitte stehende Lebenslicht, sondern muß sie bis zu Ende brennen lassen. Im Rheinland kannte man ferner den Brauch, unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine geweihte Kerze anzuzünden, und man deutete es übel aus, wenn das Kind nicht zur Stelle war, wenn das Licht erlosch. Erlischt die Altarkerze von selbst, so stirbt der Prediger innerhalb eines Jahres. Im Erzgebirge wurden bei der Aufbahrung der Leiche so viele Lichter angebrannt, als der Verstorbene vollendete Lebensjahre hinter sich hatte; die das letzte Lebensjahr bedeutende Kerze lag unangezündet und zerbrochen daneben. In dem Kinderspiel ›Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg‹ (vgl. Goethes gleichnamiges Gedicht) muß derjenige ein Pfand geben, in dessen Hand das letzte Fünkchen eines herumgereichten glimmenden Spanes erlischt.Unsere Redensarten vom Lebenslicht sind auch literarisch reich bezeugt. Schon bei Wolfram von Eschenbach heißt es im ›Willehalm‹ (416, 14) wortspielend:... bî liehter sunnen dâ verlasch (erlosch)manegem Sarrazlî sîn lieht,in der Lohengrindichtung: »... und sluoc in, daz im muoste daz lieht erlschen«, wobei natürlich die Möglichkeit offenbleibt, daß ›lieht‹ hier im Sinne von ›Augenlicht‹ gemeint ist. Mit Sicherheit ist das Lebenslicht jedoch gemeint bei Gryphius (1698):... doch Chach der Mörder rißDen kurzen Faden ab und setzte Kling und ZangenIn unser Brust, er bließDies Lebenslichtlein aus, eh es die Zeit verhangen.Das Bild wurde von Schiller weiter ausgeführt in den Worten Franz Moors (›Räuber‹ II,1) über die geplante Ermordung seines Vaters: »Ein Licht ausgeblasen, das ohnehin nur mit den letzten Öltropfen noch wuchert – mehr ist's nicht«. Wilh. Busch beschreibt den Tod des alten Kaspar Schlich in ›Plisch und Plum‹ mit den Worten:Fällt ins Wasser, daß es zischt,Und der Lebensdocht erlischt.Eine volkstümliche Hausinschrift in Tuttlingen (Württemberg) lautet:Bläst uns, o Welt, in deinem HausDer Tod des Lebens Lichtlein aus,Wird am Geruch es offenbar,Wer Talglicht oder Wachslicht war.• J. GRIMM: Rechtsaltertümer I, 151; DERS.: Mythologie, S. 496; W. WACKERNAGEL: Das Lebenslicht, in: Zeitschrift für deutsches Altertum, 6 (1848), S. 280-284; B. KAHLE: Seele und Kerze, in: Hessische Blätter für Volkskunde, 6 (1907), S. 9-24; LESSMANN, S. 35-38; Handbuch des Aberglaubens V, Spalte 967-970, Artikel ›Lebenslicht‹ von BOETTE; H. FREUDENTHAL: Das Feuer im deutschen Glauben und Brauch (Berlin und Leipzig 1931), S. 154-171; K. RANKE: Idg. Totenverehrung, Folklore Fel-lows Communications 140 (Helsinki 1951), besonders S. 248ff.; R.W. BREDNICH: Volkserzählungen und Volksglaube von den Schicksalsfrauen, Folklore Fellows Communications 193 (Helsinki 1964); L. SCHMIDT: Lebendiges Licht im Volksbrauch und Volksglauben Mitteleuropas, in: Volksglaube und Volksbrauch (Berlin 1966), S. 19-55; H. RÖLLEKE: ›Redensarten des Volks, auf die ich immer horche‹ (Bern u.a. 1988), S. 72.Einem das Lebenslicht ausblasen. Titelkupfer von Francis Quarles: Hieroglyphikes of the Life of Man, 1638. Aus: Rosemary Freeman: English Emblem Books (Octagon Books), 2. Auflage London 1967.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.