- Leisten
- Alles über einen Leisten schlagen: alles gleichmäßig, nach demselben Schema behandeln, Unterschiede nicht berücksichtigen, ›Alles über einen Kamm scheren‹, ⇨ Kamm; vgl. französisch ›mettre tout dans le même sac‹ (wörtlich: alles in denselben Sack hineintun). Daneben findet sich die Wendung Über denselben Leisten geschlagen: von der gleichen Sorte oder Art sein (vgl. niederländisch ›op dezelfde leest geschoeid zijn‹, französisch ›frapper tout au même coin‹ (veraltet), englisch ›to make one shoe for every foot‹). Der Schuster fertigt die Schuhe nicht individuell nach jedem menschlichen Fuß, sondern nach feststehenden hölzernen Modellformen, den Leisten. Das redensartliche Bild stammt also von einem bequemen Schuhmacher, der nicht nach Maß arbeitet und alles ungenau nimmt. Die Redensart ist seit dem 16. Jahrhundert belegt. H. Steinhöwel sagt in seiner Boccacciobearbeitung von 1535: »dann du als sie in der selben Sünd bist, ihr seid all über ein Leist gemacht«. Das Fastnachtsspiel des 16. Jahrhunderts bringt ähnliche Wendungen ebenfalls sehr häufig, z.B. Hans Sachs: »ir seit alle über ein Leist geschlagen«. 1625 schreibt Joh. Höpfner im ›Spiegel der Kleider Hoffart‹ (S. 27): »Sie sind alle, wie man pflegt im Sprichwort zu reden, vber eine Leiste geschlagen«; Joh. Gerlingius 1649 (›Sylloge adagiorum‹ Nr.94): »Eundem calceum omni pede inducere. Alle Schuhe über eine leist machen«. Kant verurteilt es, »alles dem Leisten scholastischer unfruchtbarer Abstraktion an(zu)passen«. 1889 heißt es bei J. Stinde in ›Frau Buchholz im Orient‹ (S. 83): »Alle Art ihrer Musik geht nach demselben Leisten«. In positiver Bedeutung verwendet Goethe den Leisten als Bild des Maßes und der maßvollen Beschränkung:Niemand will ein Schuster sein,Jedermann ein Dichter,Alle kommen sie gerennt,Möchtens gerne treiben;Doch wer keinen Leisten kennt,Wird ein Pfuscher bleiben.Von dem ungewöhnlichen Menschen verlangt der Volksmund: ›Man muß ihn über einen anderen Leisten schlagen‹, d.h. man darf ihn nicht mit dem gewöhnlichen Maß messen. ›Man muß ihn auf den Leist spannen‹ heißt dagegen: man muß ihm einmal eine Lehre beibringen, oder: ihn in die Kur nehmen.In der Abwandlung ›Alles über einen Leisten zuschneiden‹ begegnet die Redensart in der 43. Historie des Volksbuches vom Eulenspiegel, der den Auftrag des Schuhmachermeisters wörtlich ausführt.Schuster bleib bei deinem Leisten sagt man, wenn einer über seine Möglichkeiten und Fähigkeiten hinaus will; sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst. Das Sprichwort hat noch bis in den Schlagertext aus den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts nachgewirkt:Schuster, bleib bei deinen Leisten,Schöne Frauen kosten Geld.Plinius berichtet in seiner ›naturalis historia‹ (35,10) von Apelles, dem Hofmaler Alexanders des Großen, daß ein Schuster ihn anläßlich einer Ausstellung seiner Bilder getadelt habe, weil der Maler eine Sandale falsch dargestellt hatte. Apelles verbesserte daraufhin das Bild; als der Schuster nun noch weitere Einwände gegen das Gemälde vorbrachte, soll der Maler gesagt haben: »Ne sutor supra crepidam« (Schuster, nicht weiter als die Sandale). Unser Sprichwort ist also keine direkte Übersetzung dieser Pliniusstelle. Man mag es später jedoch darauf bezogen haben. Vgl. französisch ›Mêle-toi de tes oignons‹: Kümmere dich um deine eigenen Zwiebeln, ⇨ Schuster.Alle über einen Leisten schlagen. Gemälde von David Rychaert, 1684.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.