Nest

Nest
Das Nest des Vogels dient oft als sprachliches Bild menschlichen Wohnens, z.B. ›Jeder Vogel hat sein Nest‹. Diese Wendung hat außerdem sexuelle Bedeutung: ›Vogel‹ und ›Nest‹ als Metaphern für penis und vulva. Sein Nest bauen: sich eine eigene Wohnung einrichten. Wer behaglich sitzt, Hat ein warmes Nest. Das jüngste Kind heißt oft mit demselben Bilde ›Nesthäkchen‹, ›Nesthocker‹ oder ›Nestküchlein‹, ›Nesthopper‹, ›Nestkegel‹, weil es noch nicht ausfliegt; schweizerisch ›Nestquak‹, ›Nestquackelchen‹; Goethe (›Dichtung und Wahrheit‹ I 4): »Der jüngste, eine Art von naseweisem Nestquackelchen«. Sich ins warme (oder gemachte) Nest setzen: günstig einheiraten; rheinisch ›He hät sech en wärm Nest gesuck‹; dagegen schwäbisch ›sich jemandem ins Nest hocken‹, jemandem seine Geliebte wegnehmen. Das Nest ist ausgeflogen: die Familie ist auf und davon. Den hat der Teufel im Nest vergessen: er ist sehr böse. Hinzuzufügen ist eine Reihe mundartlicher Wendungen: hessisch ›des Näast richtig voll hoo‹, betrunken sein; schleswig-holsteinisch ›De keen Eier hett, mutt Nester bröden‹, man muß mit dem vorliebnehmen, was man hat; schwäbisch ›ins Nest stieren‹, eine längst vergessene unangenehme Sachewieder aufrühren; rheinisch ›jemand e Nest in de Kopp baue‹, ihm Sparren, dumme Einfälle in den Kopf setzen; ›mit jemand in de Nester hange‹, Streit mit ihm haben; ›jemand en Ei in et Nest legge‹, ihm schmeicheln. Von einem ›grünen Jungen‹ sagt man, ›er habe die Nestschalen noch am Kopf hänge‹.
   Weniger anheimelnde Ausdrücke sind: ›Diebsnest‹, ›Raubnest‹, ›Rattennest‹. Auch die Wendung ›Sich einnisten‹ hat einen schlechten Klang, weil sie sich eigentlich auf das Eindringen von fremden Vögeln in ein Nest bezieht.
   Nest bedeutet aber auch das Bett. Ins Nest gehen: zu Bett gehen. Sächsisch ›das Nest nicht finden können‹, ewig nicht ins Bett gehen, durchfeiern.
   In der Schweiz wird Nest auch im Sinne von ›Gesäß‹ scherzhaft gebraucht, z.B. ›chast dis Nest niene still ha?‹, kannst du nicht ruhig sitzen bleiben?
   Er tut es nicht um den Vogel, er tut es um das Nest sagt man von einer Einheirat, vor allem im Handwerk; im 18. Jahrhundert war an vielen Orten die Meisterzahl beschränkt. War kein Sohn da, um die Werkstatt nach dem Tode des Vaters weiterzuführen, konnte ein tüchtiger oder strebsamer Geselle Witwe oder Tochter heiraten (Mecklenburg, Bützower Stadtakten).
   Das eigene Nest beschmutzen: Schlechtes über die eigene Familie sagen, die eigene Verwandtschaft in Mißkredit bringen. Der ursprüngliche Realbereich der Redensart liegt in der Vogelwelt und bezieht sich speziell auf den Wiedehopf, dem nach der Zoologie des Mittelalters diese Eigenschaft in besonderem Maß zugeschrieben wurde und der damit schon früh in redensartlichen Gebrauch kam. So schreibt der spätmittelhochdeutsche Dichter Muskatblüt (74,60ff.):
   Duostu selbe in din eigen nest
   Du glichest wol dem wedehoppen,
   Wa du dan sitzest oder stest,
   Darin so muostu knoppen.
In Johann Fischarts ›Ehzuchtbüchlein‹ heißt es: »Dan was ist dieses für ein Viehische Widhopfenart, sein eygen Nest bescheyssen?« Und ebenso bucht Sebastian Franck in seinen ›Sprichwörtern‹: »in sein eygen nest hofieren wie ein widhopff«. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts ist die Redensart, allgemein auf den ›Unnutzvogel‹ übertragen, auch bildlich dargestellt worden; so in Thomas Murners ›Schelmenzunft‹. Darunter stehen die Worte:
   Der Vogel hatt eyn bose art
   Der seym eigen nest nit spart
   Sunder selber scheisset dreyn
   Den gschmack doch selber nymmet eyn ...
   Der Vogel kan nit sein der best,
   Der scheisset in sein eigen nest.
In seiner ›Außlegung gemeyner deutscher Sprichwörtter‹ schreibt Joh. Agricola im Kapitel 665: »Wer in sein eygen nest scheißt, der ligt vnsannft, und ist nit ehren werdt ...Man sagt, daß vnder allen fögeln keyner in sein nest thuo denn der Widhopff, darumb er auch eyn verachter vogel ist, wiewol er eyn kron vnd kamp tregt, vnd hatt hübsche federn, denn er ist nit ehren werdt«.
   Vermutlich war das Sprichwort ›Es ist ein schlechter Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt‹ schon vor 1000 n. Chr. geläufig. Doch kann die Frage der Herkunft nicht geklärt werden: entweder ist es eine Prägung der gelehrten theologischen Literatur, der klassischen Antike oder des frühen europäischen Mittelalters.
   Die Vorstellung vom Wiedehopf als schmutzigem Vogel erscheint schon in Aristophanes' ›Vögel‹. Als Ursprungsland dieser Vorstellung gilt der Orient.
   In Schwaben sagt man: ›'s ist e schlechter Vogel, der's eige Nest verscheißt; wenn er aber de Hintere net'nausbringt, hat er kei andere Wahl‹.
   Das Gegenteil drückt die Redensart Das (eigene) Nest rein halten aus: keine unsauberen Handlungen im eigenen Haus, in der eigenen Familie begehen, sich mit seiner Verwandtschaft solidarisch fühlen.
• J.G. KUNSTMANN: The Bird that fouls its Nest, in: Southern Folklore Quarterly 3 (1939), S.
75-91; wieder in: W. Mieder/ A. Dundes (Hrsg.): The Wisdom of Many, S. 190-210; K. BOSTRÖM: Das Sprichwort vom Vogelnest, in: Konsthistorisk Tidskrift 18 (1949), S. 77-89.
Ein kleiner Vogel, ein kleines Nest. Emblematischer Kupferstich mit Ansicht von Clauß im Solothurner Gebiet, aus: Meisner und Kieser, Bd. I, Teil 4, Abbildung 11.
Das eigene Nest beschmutzen. Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512: ›Der vnnutz vogel‹.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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