schreien

schreien
Etwas schreit zum Himmel: es klagt laut an und fordert Gottes strafende Gerechtigkeit heraus, wenn die irdische versagt. Diese Redensart und die ähnliche Wendung Etwas ist himmelschreiend beruhen auf Gen 4, 10; 18, 20; 2. Ex 3, 7. 9; 22, 22 und auf Jak 5, 4. Die alte Dogmatik leitete hiervon den Begriff der ›Schreienden Sünden‹, der ›peccata clamantia‹, ab und zählte diese in den folgenden Versen auf:
   Clamitat ad caelum vox sanguinis et Sodomorum,
   Vox oppressorum, viduae, pretium famulorum.
   (= Es schreit zum Himmel die Stimme des Bluts und der Sodomer,
   die Stimme der Unterdrückten, der Witwe, der Arbeiter Lohn).
Das Schreien um Gehör und Hilfe, das vor dem irdischen und dem himmlischen Richter üblich war, ist auch in den Psalmen und Kirchenliedern bezeugt. Luther dichtete z.B. 1524 in Anlehnung an den Psalm 130 das Lied ›Aus tiefer Not schrei ich zu dir‹.
   Die Steine werden schreien schweigen.
   Nach Rache (Strafe) schreien: Sühne verlangen, Vergeltung androhen; vgl. französisch ›crier vengeance‹.
   Etwas ist zum Schreien: es ist so komisch, daß man darüber laut und herzlich lachen muß.
   Das sind schreiende Farben: es sind grelle Farben, die nicht zusammen harmonieren; vgl. französisch ›des couleurs criardes‹. Es ist mir zu schreiend: es ist zu auffallend, zu bunt und grell.
   In einem schreienden Gegensatz stehen: ein auffallender Widerspruch sein.
   Viele redensartlichen Vergleiche dienen der genaueren Charakterisierung des Schreiens oder seiner Steigerung, wie die folgenden Beispiel beweisen: Schreien (brüllen) wie ein Zahnbrecher Zahnbrecher.
   Schreien wie ein Hehmann: so laut schreien wie eine Sagengestalt, deren Namen sich auf ihren Ruf bezieht, mit dem sie einsame Wanderer schreckt.
   Schreien, als wenn ein Walfisch zum Himmel flöge: als ob etwas ganz Außerordentliches passiert sei.
   Schreien wie ein Blinder, der seinen Stock verloren hat: sich wie jemand gebärden, der völlig hilflos und daher verzweifelt ist. Vergleiche französisch ›crier comme un aveugle qui a perdu son bâton‹.
   Schreien, als ob man am Spieße stäke: schreien, als habe man den Tod zu befürchten. Diese Redensart wird besonders häufig angewandt und oft von Kindern gesagt, die ihren Jammer übertreiben. Auch mundartliche Wendungen sind davon verbreitet, z.B.
heißt es in Pommern: ›He schrijet, als wenn he up'n Speer steke‹, und in Westfalen: ›Hei schrigget, ässe wenn'n am Spiete stäke‹. Ähnlich Er schreit, als ob ihm das Messer an der Kehle stecke; vgl. französisch ›Il crie comme s'il avait le couteau sous la gorge‹, Als ob das Haus brenne; vgl. französisch ›Il crie comme s'il y avait le feu à la maison‹.
   Er schreit wie ein Ketzer: vor lauter Qualen bei der Hinrichtung, vor allem bei dem üblichen Feuertod.
   Er schreit wie eine in Kindesnöten.
   Er schreit wie ein Besessener: so, als wäre ein böser Geist in ihn gefahren. Die Redensart ist besonders in Österreich verbreitet; vgl. französisch ›II crie comme un possédé‹.
   Er schreit lauter als ein Stentor Stentor.
   Besonders beliebt sind auch Tiervergleiche, z.B. Er schreit wie ein Bock, der zum Markte geführt wird, Wie ein Mülleresel, Wie ein Bär, Wie ein Hund vor dem Streich, ›wie 99 Marder‹ (Leipzig); schwäbisch ›Dear schreit wia a Dachma(r)der, wia a g'stochene Sau‹; vgl. auch französisch ›Il crie comme un putois‹ (Iltis).
• L. GÜNTHER: Wörter und Namen, S. 54; E. RATH: Der Hehmann, Herkunft und Bedeutung einer Waldviertler Sagengestalt (Wien 1953).

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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