- Sieb
- Durchs Sieb gehen: durchkommen, unbehelligt bleiben, eine Grenze, Kontrolle glücklich passieren, eigentlich durch die Löcher des Siebes unbemerkt mit durchrutschen. Das Sieb diente ursprünglich zum Sondern und Reinigen und spielte deshalb auch im älteren Brauchtum eine Rolle. Bei Abraham a Sancta Clara ist der Begriff Sieb bereits auf das moralische Gebiet übertragen worden, denn er rät: »deswegen ihr lieben Eltern, gebt ein Sieb ab, und tut euere guten Kinder von den bösen Gesellen absönderen«.Die Wendung ist auch mundartlich verbreitet, z.B. elsässisch ›Do ischt guet bezahle, wenn mr unbeschroijn durchs Sib geht‹. In Sachsen bedeutet ›durchs Sieb gucken‹ oder ›gesiebte Luft atmen‹ im Gefängnis sitzen, wobei an die Gitterstäbe der Gefängniszelle gedacht wird, ähnlich heißt es auch: ›durch den Garnsack gucken‹.Neben das Sieb gefallen sein: sein Ziel verfehlt haben. Die Redensart Durchs Sieb gefallen sein hat die spezielle Bedeutung von unverheiratet geblieben sein und damit als Frau das eigentliche Ziel nicht erstrebt oder erreicht haben.Auch in den Jenseitsvorstellungen spielt das Sieb eine wichtige Rolle: unverheiratete Mädchen und Junggesellen werden nach ihrem Tode zu einer unnützen Arbeit verurteilt. Als spiegelnde Strafe für ihr unfruchtbar und unnütz gebliebenes Leben müssen sie sich mit einer erfolglosen Arbeit abmühen und ›Wasser im Siebe tragen‹, ⇨ Wasser.Die Redensart Mit einem Siebe Wasser schöpfen bezieht sich entweder ebenfalls auf diesen Volksglauben oder meint das aussichtslose Abmühen an sich. Vielleicht enthält diese Wendung auch eine Anspielung und Erinnerung an das Faß der Danaiden und seinen siebartig durchlöcherten Boden. Als Beweis für die Unschuld wurde das Wassertragen im Siebe manchmal auch im Gottesurteil gefordert, im Märchen erscheint es häufig als besonders schwere Probe, als eine für unlösbar gehaltene Aufgabe für den Helden, der sich bewähren muß.In ein Sieb pissen: vergebliche Dinge tun.Ein redensartlicher Vergleich lautet: ›Ein armer Mann hat so viele Kinder, wie ein Sieb Löcher‹.Das Sieb laufen lassen: durch abergläubische Mittel einen Diebstahl aufdecken, einen Schuldigen ermitteln. Vergleiche französisch ›faire tourner le sas‹ (veraltet).Die Koskinomantie (Sieborakel) war schon in der Antike bekannt. Die Redensart weist auf einen Brauch, der bei uns seit dem 16. und 17. Jahrhundert literarisch bezeugt ist. Die älteste Beschreibung dafür gibt Georg Pictorius aus Villingen in seiner Abhandlung ›De speciebus magiae ceremonialis‹ (Basel 1563): Das Sieb wurde auf eine Schere oder Zange gesetzt und diese nur mit zwei Fingern in die Höhe gehalten. Nach einem Gebet oder Zauberspruch nannte man der Reihe nach die Namen aller Verdächtigen. Begann das Sieb bei einem Namen zu zittern oder sich gar zu drehen, galt der Betreffende für schuldig, und man klagte ihn an. Man glaubte auf diese Weise, durch das Sieb Hinweise auf geheime Verbrechen und unbekannte Täter zu erhalten, aber auch etwas über zukünftige Ehepartner, über Geburt und Tod zu erfahren. In Predigten wurde deshalb oft gegen diesen Volksbrauch gewettert. Besonders Hexen und Zauberer galten als erfahrene Siebdreher und wurden manchmal nur aus diesem Grunde verurteilt, wenn sie die Ausübung dieses Brauches zugegeben hatten. Bei Grimmelshausen heißt es z.B. auch von einem zauberkundigen Profos im ›Simplicissimus‹ (II, 22): »Er war ein rechter Schwarzkünstler, Siebdreher und Teufelsbanner«. Das Sieb galt überhaupt allgemein als Attribut der Hexen, die es zum Fliegen durch die Luft gebrauchten. Außerdem nutzte ein Sieb, wenn man die Hexen beobachten wollte. Dazu mußte man ›durch das Sieb sehen‹. Diese Vorstellung verbindet Goethe mit dem Siebdrehen, denn er gebraucht die Wendung Durch das Sieb sehen, um einen Dieb zu entdecken, die sonst in dieser Bedeutung nicht redensartlich bezeugt ist. Im ›Faust‹ erteilt in der Hexenküche der Kater der Katze folgenden Rat:Sieh durch das Sieb,Erkennst du den Dieb.Ein Gedächtnis wie ein Sieb haben: ein nur lückenhaftes, schlechtes Gedächtnis haben; ähnlich: Sein Gehirn ist wie ein Sieb: es läßt alles durch, er merkt sich nichts, weil es offenbar Löcher besitzt, vgl. französisch ›avoir la tête comme une passoire‹.Eine derb-humoristische Umschreibung für ›Sommersprossen haben‹ ist die moderne Wendung Ihn haben sie durch das Sieb angeschissen, auch: ›Der Teufel hat durch ein Sieb geschissen‹.• F. ECKSTEIN: Artikel ›Sieb‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VII, Spalte 1662-1686.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.