Stein

Stein
Einen Stein auf jemanden werfen, auch: Den ersten Stein auf jemanden werfen: ihn einer Schuld zeihen, ihn anklagen, belasten. Die Redensart ist biblischer Herkunft; Joh 8, 7 sagt Jesus zu den Pharisäern und Schriftgelehrten, als sie ihm eine Ehebrecherin zuführen, die er verurteilen soll: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie«. Die Redensart erinnert an die altjüdische Strafe der Steinigung (vgl. Lev 20, 27 und Jos 7, 25), wobei der Ankläger auch den ersten Stein auf den Verurteilten bei seiner Hinrichtung zu werfen hatte. Er mußte deshalb seiner Anschuldigung wirklich sicher sein. Jesus warnt also vor Verleumdung und Anklage, wenn man selbst nicht frei von Fehlern (den gleichen Sünden) ist. Andere Wendungen beziehen sich ebenfalls auf die gefährliche Position des Anklägers, dessen Anklage entweder falsch sein kann oder der ähnliche Fehler besitzt. Bei Burkard Waldis ist 1527 ein Reimpaar belegt, das sich inhaltlich eng an das Bibelwort anschließt:
   Wer auf andere will werfen einen Stein,
   Kehr' erst vor seiner Thüre rein!
Es wird auch darauf hingewiesen, daß eine Anklage ebensowenig zurückgenommen werden kann wie der erste Stein, den man geworfen hat. In seinem ›Florilegium Politicum‹ aus dem Jahre 1630 schreibt Christoph Lehmann: »Wenn der stein auss der Hand vnd dass wort aussm Mund ist, können sie nicht widerbracht werden«. Vergleiche auch niederländisch ›Een geworpen steen, een afgeschoten pijl en een gesproken woord zijn niet te herroepen‹. Obwohl die Redensart ›einen Stein auf jemanden werfen‹ durch die Bibelübersetzung in nahezu allen Sprachen geläufig ist (vgl. französisch ›Jeter la première pierre à quelqu'un‹); wäre es einseitig, nur auf die jüdische Quelle hinzuweisen, denn die Steinigung als Todesstrafe war auch den germanischen Völkern bekannt. In der Regel wurde der Täter an einen Pfahl gebunden und zu Tode gesteinigt. Vergleiche Gregor von Tours (III, 36): »vinctis post tergum manibus ad columnam lapidibus obruunt«. In übertragener Bedeutung verwendet August von Platen das Verb ›steinigen‹ auch literarisch (Bd. I, S. 372):
   (Sie) steinigen den als Egoisten,
   Der tiefre Lust und Qual empfand.
Auch vor der Rückwirkung einer Verleumdung wird sprichwörtlich. gewarnt, zum Beispiel heißt es: ›Der Stein, den man auf andere wirft, fällt uns meist selbst auf den Kopf‹.
   Den Stein auf (gegen) jemanden erheben: ihn verurteilen und verfluchen. Die Geste des erhobenen Steines über einem Sünder hat symbolische Bedeutung im Rechtsbrauch besessen. In der Chronik des Ulrich Richental über das Konzil von Konstanz (1414-18) ist eine solche Szene bildlich dargestellt worden: Die feierliche Absetzung und Verfluchung des Papstes Benedikt XIII. erfolgt vor dem Portal des Münsters; der zuvorderst stehende Bischof erhebt einen Stein auf ihn. In Wirklichkeit ist der Papst dabei jedoch nicht anwesend gewesen, der auf dem Bild in demütiger Haltung gezeigt wird, die er niemals angenommen hat (Abbildung S. 1539).
   Jemandem einen Stein in seinen Garten werfen: ihm einen Schaden zufügen, ihm Schwierigkeiten bereiten, ihm einen bösen Streich spielen, wie Beete durch böswillig in den Garten geworfene Steine zerstört werden können. In dieser ursprünglich negativen Bedeutung ist die Wendung literarisch früh bezeugt: »bezzert er mir niht, ich wirfe im einen stein in sînen garten und eine kletten in den bart« (›Minnesinger‹ 3, 104b). 1498 erklärt Geiler von Kaysersberg die Bedeutung der Redensart als ›mit Worten schaden‹ in einer Predigt über Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ im Straßburger Münster: »Und als man gemeinlich spricht, wa man offenlich ret und ein mit worten rürt, so spricht er, er hat im ein Stein in garten geworffen«. Die Wendung »Wirft jn heimlich ein Stein in garten«
ist auch in der Fabelsammlung ›Esopus‹ des Burkard Waldis 1527 belegt. Auch Abraham a Sancta Clara hat die Redensart mehrfach literarisch gebraucht, zum Beispiel im ›Judas‹ III, 350, in ›Reim dich‹ 104 und im ›Kramer-Laden‹ I, 101. Überhaupt ist die Wendung von Luther über Goethe bis in die neuere Zeit beliebt geblieben.
   Interessanterweise besitzt sie in manchen Gegenden Deutschlands entgegengesetzte Bedeutung, so vor allem in unterfränkischer, obersächsischer, schlesischischer und westfälischer Mundart, indem sie besagt, daß man jemandem bei passender Gelegenheit einen Gefallen erweisen, einen Gegendienst leisten wird. Zum Beispiel ist aus Zwickau die Wendung bezeugt: ›Dadervor schmeiß'ch dr emal en annern Steen in dein' Garten‹, vielleicht wurde dabei ursprünglich an einen wirklichen Hilfsdienst, die Abwehr der die Saat wegfressenden Spatzen, gedacht; vgl. französisch ›C'est une pierre dans mon jardin‹, im Sinne von ›Das bringt Wasser auf meine Mühle‹.
   In der ursprünglichen Bedeutung ›jemandem schaden‹ wird die Redensart nur in Schwaben, im Elsaß und in Rheinfranken gebraucht. In manchen Orten besitzt die Redensart aber gleichzeitig beide Bedeutungen, so daß man nur durch Tonfall, Mienenspiel oder Situation erkennen kann, wie sie gerade gemeint ist.
   In der Steiermark sagt man, um für eine Gefälligkeit zu danken, ähnlich: ›Ich will dir einen Stein in den Rücken werfen‹.
   Bismarck hat die Wendung im ursprünglichen Sinne gebraucht (›Reden‹ 12, 535): »Wo man irgend etwas ausfindig machen kann, einen Stein, den man in den Garten des Reiches werfen kann, da greift man mit beiden Händen zu«.
   Jemandem einen Stein in den Stiefel werfen: seine Unruhe, Zweifel erregen, ihn in eine unangenehme Lage bringen, die ihn wie ein lästiger Stein im Schuh drückt.
   Jemandem einen Stein in den Weg legen (werfen): ihm ein Hindernis schaffen, ihn zu Fall bringen wollen. Thomas Murner sagt schon in seiner ›Schelmenzunft‹ (9, 20):
   Ich streich im an seyn hossen dreck
   Und leit im heimlich steyn an wegk.
Grimmelshausen verwendet im ›Simplicissimus‹ (I, Kapitel 25) dafür die Wendung Einem den Stein stoßen: ›Ich hab ihm den Stein gestoßen, daß er den Hals hätt brechen mögen‹, das heißt er hat ihm unvermutet einen Stein unter die Füße gerollt, der ihn zu Fall bringen sollte. Vergleiche auch französisch ›Il m'a jeté le chat aux jambes‹.
   Die Wendung ›jemandem einen Stein in den Weg legen‹ kann auch eine positive Bedeutung erhalten, wie zum Beispiel im Niederdeutschen: Für eine Gefälligkeit sagt man zu dem, der keinen Dank dafür begehrt: ›Na schön, ich leg dir dafür auch mal 'n Stein in'n Weg!‹, das heißt: Es ergibt sich schon mal eine Gelegenheit, es wieder gutzumachen, dafür zu danken.
   Jemandem alle Steine aus dem Wege räumen: ihm alle Schwierigkeiten beseitigen, sein Fortkommen tatkräftig unterstützen. Vergleiche lateinisch ›Lapis lapidem terit‹.
   Den Stein werfen und dann die Hand verbergen: sich unschuldig stellen.
   Den Stein ins Rollen bringen: den ersten Anlaß zu etwas geben; bewirken, daß eine schwierige Angelegenheit in Bewegung kommt, auch: etwas Unangenehmes aufdecken; Der Stein kommt ins Rollen: eine wichtige Angelegenheit wird in Angriff genommen, der Anstoß zu einer Untersuchung ist gegeben worden, ein Skandal beginnt.
   Ein Stein des Anstoßes sein: ein Ärgernis bilden. Die Wendung ist biblischer Herkunft. Bei Jes 8, 14 heißt es: »So wird er ein Heiligtum sein, aber ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses den beiden Häusern Israel«; vgl. auch Röm 9, 32 und 1 Petr 2, 8. Auch in einer angeblich wahren Begebenheit soll der ›Stein des Anstoßes‹ eine Rolle gespielt haben: In Pillkallen (Ostpreußen) stritten sich im Jahre 1822 zwei Verwandte um das Eigentumsrecht eines großen Steines, der auf der Grenze der beiderseitigen Besitzungen lag. Da jeder den Stein für sich beanspruchte, kam es zu einem Prozeß. Der Richter schlug folgenden Vergleich vor: »Der Stein soll keinem von beiden gehören, sondern soll vor der Schwelle des Gerichtshauses unter dem Namen ›Stein des Anstoßes‹ eingesenkt werden, damit jeder durch diesen Stein erinnert werde, das Gericht nicht wegen eines so geringen Gegenstandes zu behelligen« (K.E. Krack, Redensarten unter die Lupe genommen, [Berlin-Charlottenburg 1961] S. 167). Vergleiche auch niederländisch ›Hij is een steen des aanstoots‹, französisch ›C'est une pierre d'achoppement‹; seltener: ›une pierre de scandale‹.
   Steine können auch bildlich im Wege liegen, an denen man sich stößt. So heißt es zum Beispiel in Sebastian Brants ›Narrenschiff‹:
   Wer uff sin frumkeit halt allein
   Und ander urtelt böß und klein,
   Der stoßt sich oft an herte stein.
Von der Last des Steines handeln verschiedene Wendungen: Der schwerste Stein ist gehoben: das Schwierigste ist vorbei, oder: Der Stein ist weggewälzt. Diese Redensart bezieht sich auf die Grablegung Christi: der schwere Stein, der das Grab verschlossen hatte, war durch göttliche Macht beseitigt worden, als die Auferstehung erfolgte. Vergleiche niederländisch ›De steen is van het graf gewenteld‹.
   Einen Stein auf dem Herzen haben: eine drückende Sorge haben; vgl. französisch ›avoir un poids (eine Last) sur le coeur‹.
   Einem Steine aufs Herz wälzen: ihn ängstigen, ihm Kummer bereiten. Am häufigsten ist diese Redensart in der Form einer erleichterten Feststellung zu hören: Es fällt mir ein Stein vom Herzen, vgl. pommerisch ›Dar fêl mi'n Stên vam Harten‹, da wurde ich leichteren Mutes, und niederländisch ›Er valt een stein van mijn hart‹, französisch ›C'est un poids qui m'est ôte du coeur‹: ich bin einer schweren Bedrückung ledig, ich kann wieder frei atmen, Alp. Früher galt es auch als Strafe für verurteilte Weiber, öffentlich einen Lasterstein eine Strecke weit vor aller Augen zu tragen ( anhängen). Darauf spielt Hans Sachs an:
   Wo du mich nit mit friden last,
   Wil ich dein frömbkeit alle sagen,
   Das du auch noch den stein must tragen.
Den Stein, den seine Vorfahren nicht lichten (heben) konnten, wird er auch liegen lassen er wird auch nicht mehr ausrichten.
   Zwischen die Mühlsteine geraten: Schaden erleiden, in äußerst bedrängte Lage kommen, Mühle.
   Sprichwörtlich ist der Stein auch wegen seiner Härte. Es möchte einen Stein (in der Erde) erbarmen (erweichen) heißt es oft bei dem Bericht von einem Unglück: auch die unempfindlichsten Herzen müssen von Mitleid bewegt werden. Schon in der Literatur des klassischen Altertums begegnet die Wendung, vgl. lateinisch ›adamanta movere lacrimis‹ (Ovid, Cicero). Auch in der eddischen Sage vom Gott Baldr (›Snorra-Edda‹, ›Gylfaginning‹ Kapitel 49) spielt diese Vorstellung eine Rolle: »Menschen und Tiere, Erde und Gestein, das Holz und alles Metall beweinten den (toten) Baldr«. Ebenso wissen christliche Legenden davon zu erzählen, daß steinerne Heiligenbilder von dem Flehen der Gläubigen zu Tränen gerührt wurden. Auch in der mittelhochdeutschen Literatur ist die Redensart bezeugt, zum Beispiel bei Oswald von Wolkenstein (I, 103, 12): »Es möcht ain stain erparmen«. Im Liederbuch der Clara Hätzlerin heißt es später ähnlich (I, 35, 18): »Das möcht ain hertten stain erparmen«. Auch Sebastian Brant und Johann Fischart haben die Redensart literarisch verwendet, desgleichen die Brüder Grimm (Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm 1, 80, 110).
   Der Fabeldichter Lichtwer (1719-83) beschreibt die ›Katzenmusik‹ besonders drastisch als »Ein Geheul, das Stein erweichen, Menschen rasend machen kann ...«
   Das Motiv des ›Steinerweichens‹ tritt vornehmlich in Sagen zutage. Eine hessische Sage berichtet von dem ›Frauen-Holl-Stein‹ (Wolf: Hessische Sagen [Leipzig 1853], S. 10, Nr. 12): »Bei Fulda im Wald liegt ein Stein, in dem man Furchen sieht. Da hat Frau Holl über ihren Mann so bittere Thränen geweint, daß der harte Stein davon erweichte«. Auch im bairisch- österreichischen Gebiet gibt es Legenden vom ›Steinerweichen‹ durch die Gebete von Heiligen (St. Wolfgang, Fridolin v.a.).
   Dagegen heißt es von einem, der sich nicht erweichen läßt: Er ist wie Stein so hart oder Er hat einen Stein statt des Herzens in der Brust; vgl. französisch ›Il a une pierre à la place du coeur‹. Sebastian Franck verzeichnet in seinen ›Sprichwörtern‹ (II, 97b) die ähnliche Wendung »Er hat Stein im busen«.
   Einem Steine sein Leid klagen oder Man könnte ebensogut Steinen predigen: es hat keinen Zweck, auf ihn einzureden, er läßt sich nicht umstimmen; vgl. französisch ›Autant prèche dans le désert‹ (wörtlich: Man könnte ebensogut in der Wüste predigen).
   Die Wendung Da möchten doch die Steine weinen (schreien) ist biblischer Herkunft. Lk 19, 40 spricht Jesus zu seinen Jüngern: »Wo diese werden schweigen, so werden die Steine schreien«, das heißt wenn die Menschen schweigen, werden die Steine ihre Stimme für sie erheben. Bei Hab 2, 11 heißt es ähnlich: »Denn auch die Steine in der Mauer werden schreien, und die Sparren am Balkenwerk werden ihnen antworten«. Auch in der ›Stralsunder Chronik‹ (I, 295) ist die Wendung bezeugt: »Das die steine weinen möchten«. Vergleiche niederländisch ›Dan zouden de steenen spreken‹.
   Da will kein Stein zischen: jede Hilfe und Anteilnahme ist fern. Bei Fischer heißt es erläuternd im ›Psalter‹ (147, 1): »Da hat Christus gewehklaget; aber seine Hülffe ist ferne gewest, da hat kein Stein zischen wollen«.
   Die Prophezeiung Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben: es wird alles restlos zerstört werden, beruht ebenfalls auf einer Bibelstelle. Mt 24, 2 spricht Jesus in Jerusalem: »Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde«.
   Stein und Bein schwören: etwas mit den festesten Eidesschwüren versichern. Man hat die redensartliche Formel aus alten Rechtsbräuchen zu erklären versucht: Beim Schwören vor Gericht war es üblich, bestimmte Gegenstände zu berühren. In heidnischer Zeit legte man die Hand zum Schwur zum Beispiel auf den Stab des Richters, auf das Schwert, die Erde und das Gras, auf Bäume, man berührte heiliges Wasser, Brunnen, heilige Berge, Felsen und Steine, aber auch seine Brust, die Haare oder den Bart. Im 3. Gudrunlied der Edda wird der Eid bei einem weißen Stein geleistet. Der heidnische Brauch, bei einem heiligen Stein zu schwören oder die Hände auf den Altar der Gottheit zu legen (vgl. lateinisch ›Jovem lapidem jurare‹), soll sich nach Einführung des Christentums weiterentwickelt haben. Die Christen berührten die steinerne Altarplatte oder einen Reliquienschrein, der die Gebeine eines Heiligen barg. Im 6. Jahrhundert nach Christi erwähnt die ›Lex Alamannorum‹, daß die Schwörenden und Eideshelfer die Hände auf ein Reliquienkästchen legten. Auch in Wolframs ›Parzival‹ findet sich dafür ein Beleg: In der Klause des Einsiedlers Trevrizent findet Parzival einen Reliquienschrein und leistet auf ihn beziehungsweise auf die darin liegenden Gebeine einen Eid. Man hat nun daraus geschlossen, da die Heiden beim Stein, die Christen jedoch beim Heiligengebein geschworen haben, daß die Verbindung beider Gerichtsbräuche einen unlösbaren Eid bedeutet habe und die redensartliche Formel davon abzuleiten sei (vgl. Abbildung). Vermutlich ist aber die reimende Formel ›Stein und Bein‹ viel älter als die Redensart und nur der bildliche Ausdruck für große Festigkeit. So steht sie auch in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts bei Freidank (164, 17):
   Diu Zunge hât dehein bein
   und bricht doch bein unde stein.
Freidank verdeutscht damit ein älteres Sprichwort, das uns in lateinischer Form überliefert ist: ›Osse caret lingua, secat os tarnen ipsa maligna‹ (»Die Zunge hat keinen Knochen, doch schneidet die böse selbst einen Knochen«). Dadurch, daß Freidank das Wort ›Stein‹ hinzusetzt, beweist er, daß die Verbindung ›Stein und Bein‹ üblich und formelhaft war. Die Vielfalt an parallelen Wendungen mit Stein und Bein, wie Stein und Bein klagen, Stein und Bein jammern, Stein und Bein frieren, Stein und Bein leugnen, spricht dafür, daß die Verbindung von Stein und Bein nur eine bildhafte Verstärkung bedeutet.
   Die Redensart Es hat Stein und Bein gefroren meint: die Kälte ist so stark gewesen, daß der Frost sogar in solch feste Dinge wie Stein und Knochen gedrungen ist. Schon in einem Soldatenlied von 1641 ist diese Wendung bezeugt:
   Wenn andre ziehen ins Quartier,
   Die Waffen von sich legen,
   So kriecht ihr erst im Winter für,
   Wollt große Ehr einlegen,
   Wo Stein und Bein gefrieren ein.
Im Niederdeutschen begegnen auch noch die mundartlichen Wendungen ›Steen und Been floken‹ (fluchen) und ›He löpt sik Steen und Been af‹.
   Die deutsche Formel ›Stein und Bein‹ hat auch ein altes englisches Sprichwort (nicht zuletzt auch hier des Reimes wegen) zum Inhalt: ›When you buy meat, you buy bones, when you buy land, you buy stones‹.
   Stein dient auch ähnlich wie ›Stock‹ in Zusammensetzungen zur Steigerung: ›Steinalt‹, ›Steinreich‹, im 16. Jahrhundert auch ›steintaub‹, was wohl aus Zusammensetzungen übertragen ist, in denen das Wort Stein einen Sinn hatte, wie zum Beispiel in ›steinhart‹.
   Steine klopfen (müssen): eine schwere, stupide Arbeit verrichten müssen; oft in der Wendung von: ›Lieber Steine klopfen, als ...‹.
   Einen Stein bei jemandem im Brett haben: gut bei ihm angeschrieben sein, sein Wohlwollen genießen, bevorzugt werden. Die Redensart stammt vom Brettspiel ab, das Puffspiel oder Tricktrack heißt und bereits im Mittelalter beliebt war. Johann Agricola gibt für die Redensart in seiner ›Sprichwörtersammlung‹ von 1529 einen ersten deutschen Beleg (418): ›Ich hab eyn guten steyn im brette‹, und erklärt dazu: »Wer auff dem spill eynen gutten bund im brette hatt / darüber ein ander sein steyne spilen muß der hatt das spil halbs gewunnen. Also auch wer vor grossen Herren und Rädten zu schaffen hatt / vnd hatt yemand der sein sach trewlich fordert vnd treibet / der hat eynen gutten steyne im brette / einen gutten freundt / der ym zu seiner sachen redt vnd hilffett« ›Bund‹ bedeutet zwei nebeneinanderstehende Steine, über die der Gegner nur schwer hinwegkommen kann; hat der Spieler aber auch nur einen Stein schon im nächsten Felde stehen, so kann er dem Gegner das Weiterspielen erschweren, fünfzehn.
   Luther hat die Wendung in seinen ›Tischreden‹ (211a) gebraucht; in übertragener Bedeutung findet sich die Redensart ferner 1560 in des Verlegers Christian Egenolff ›Sprichwörtern‹ (199b). Der bekannteste literarische Beleg für diese Redensart steht in Schillers Drama ›Wallensteins Lager‹, wo der erste Kürassier folgendes über Max Piccolomini sagt:
   Der versteht sich auf solche Sachen,
   Kann bei dem Friedländer alles machen.
   Hat auch einen großen Stein im Brett
   Bei des Kaisers und Königs Majestät.
Den Stein der Weisen suchen: sich eifrig um ein hohes Ziel bemühen, ein Phantast sein und sich um etwas bemühen, das es nicht gibt. Der ›Stein der Weisen‹ war in der Sprache der Alchimisten das Universalmittel, die ›Materia prima‹, mit der man unedle Metalle in Gold verwandeln kann. Trotz aller Mißerfolge, einen solchen Wunderstein zu entdecken, wurde die Suche nach ihm doch eifrig fortgesetzt. Der Fabeldichter Lichtwer (1719-83) gebraucht den Ausdruck in übertragener Bedeutung: »Vergnügt sein ohne Gold, das ist der Stein der Weisen«.
   Für Goethe ist dieser Stein der Inbegriff des Glücks. Er schreibt im ›Faust‹ (II, V. 5061-64):
   Wie sich Verdienst und Glück verketten,
   Das fällt den Toren niemals ein;
   Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
   Der Weise mangelte dem Stein.
Der Stein der Weisen soll also Glück und Reichtum bringen und Geheimnisse enthüllen können. Deshalb glaubte man, Salomo habe ihn einst besessen. Da es ihn aber leider nicht gibt, bedeutet das Suchen nach ihm etwas Törichtes und Unnützes; vgl. französisch ›la pierre philosophale‹.
   Den Stein des Sisyphus wälzen; vgl. französisch ›le rocher de Sisyphe‹, Sisyphus.
   Die Wendung Einem Steine statt Brot geben: ihm Wertloses reichen, nur Phrasen sprechen, statt Trost zu spenden und tatkräftig zu helfen, ist biblischer Herkunft. Mt 7, 9 heißt es: »Welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet ums Brot, der ihm einen Stein biete?« Ludwig Uhland gebraucht in seinem Gedicht ›Schwäbische Kunde‹ eine ähnliche Verbindung, wenn er schreibt: »Viel Steine gabs und wenig Brot«.
   Steine verdauen können, auch: Kleine Steine vertragen können: einen guten Magen haben, auch Schweres verdauen können. Vergleiche dagegen französisch ›manger des briques‹ (wörtlich: Backsteine essen), im Sinne von sich schlecht, ungesund ernähren (müssen).
   Den Stein verstecken und das Brot zeigen: jemanden mit Hinterlist und falschen Versprechungen an sich locken, um ihn dann um so sicherer zu verderben. Vergleiche lateinisch ›Altera manu fert lapidem, altera panem ostentat‹. Aus Steinen Brot machen wollen: etwas Unmögliches versuchen, vgl. französisch ›Faire de pierre pain‹ (veraltet).
   Die Redensarten ›Up'n breeden Steen staan‹, zur Trauung stehen und ›Da mutt en breeden Steen in't Huus wesen‹, wenn mehrere Mädchen aus dem gleichen Hause kurz hintereinander heiraten, erinnern noch an alte Hochzeitsbräuche. John Meier vermutet, daß der Brautstein einem Initiations- und Scheidebrauch der Braut gedient habe. Ein alter Pfandlösereim, der in ganz Deutschland bekannt ist, erinnert noch an den alten Hochzeitsbrauch:
   Ich stehe auf einem breiten (heißen) Stein
   Wer mich lieb hat, holt mich heim.
   Das Mädchen, das sich gern verheiraten möchte, stellt sich oder setzt sich auf den Stein, auf dem gewöhnlich die Braut nach der Trauung stehen muß, in der Hoffnung daß die zauberhafte Wirkung des Steines, auf dem so viele Glückliche gestanden haben, ihr ebenfalls einen Mann beschert. In einem niederdeutschen Lied von der Nord- und Ostseeküste heißt es:
   Sit en lütje Deern op'n breeden Steen,
   Fangt so bitterlich an to ween 'n.
   All de lütten Deerns de kriegt en Mann,
   Ik mutt sitten un kiken dat an.
( Braut, Hochzeit)
• J.P. SCHMITZ: Stein und Bein schwören, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 5 (1891), S. 697; 7 (1893), S. 568-569; 10 (1896), S. 832; O. GLÖDE: Stein und Bein klagen, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 6 (1892), S. 577-578; 9 (1895), S. 774-776; TH. BEKKER: Zu O. Glödes Bemerkung über ›Stein und Bein klagen‹, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 8 (1894), S. 259; M. ANDREE-EYSN: Volkskundliches aus dem bairisch-österreichischen Alpengebiet (Braunschweig 1910), S. 3-5; J.W. MULLER: Een steen met een brief er aan, in: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 41 (1922), S. 227-228; J. VANDREUSE: Les pierres de justice, in: Folklore Brabançon 7 (1927/28), S. 105-114; Artikel ›Stein‹ ›Steinhaufen‹, ›steinigen‹, ›Steintragen‹, Steinverwandlung‹ etc. (mehrere Autoren), in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VII, Spalte 380-428; H.V. HENTIG: Der Blaue Stein zu Bonn. Bemerkungen zu einem alten Hinrichtungsritus, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 50 (1936), S. 403-413; J. MEIER: Heißen-
stein, der Name einer öffentlichen Spielbank, in: Festschr. O. Lauffer (Berlin 1934), S. 242-248; DERS.: Ahnengrab und Brautstein (Halle 1944); DERS.: Ahnengrab und Rechtsstein (Berlin 1950); H. HALPERT: Some Forms of a proverbial rhyme, in: Journal of American Folklore 64 (1951), S. 317-319; W. BRÜCKNER: Artikel ›Eid, Meineid‹, in: Enzyklopädie des Märchens III (1981), Spalte 1125-1140; H. RÖLLEKE (Hrsg.): »Redensarten des Volks, auf die ich immer horche. »Das Sprichwort in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (= Sprichwörterforschung Bd. 11) (Bern – Frankfurt/M. 1988), S. 27.
Den Stein gegen jemand erheben. Illustration aus der Chronik des Ulrich Richental: ›Das Konzil zu Konstanz MCDXIV bis MCDXVIII‹.
Von der Last des Steines hinabgezogen werden. Martyrium der hl. Christina, Florenz, Biblioteca Nazionale, Rari 179, misc. 975, No. 2. Aus: Paolo Toschi: Populäre Druckgraphik Europas. Italien vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, München 1967, Abbildung 13.
Zwischen die Mühlsteine geraten. Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, zum Kapitel: ›von zwytracht machen‹.
Stein und Bein schwören. Heidelberger Sachsen-
   spiegelhandschrift, 13. Jahrhundert.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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