Stern

Stern
Die Sterne befragen, auch: In den Sternen lesen: sein vorherbestimmtes Schicksal mit astrologischen Methoden berechnen wollen. Die Redensarten weisen auf die Beschäftigung mit der Sterndeutung, die in Deutschland vom 13.-18. Jahrhundert Gelehrte und Laien bewegte und zum Teil auch ihr Handeln bestimmte.
   Die Anfänge der Astrologie gehen auf die Versuche der babylonischen Chaldäer und der Ägypter zurück, aus dem Stand der Gestirne und ihrer schicksalhaften Beziehung zu den Menschen die Zukunft zu enträtseln. Die Griechen systematisierten die von ihnen überkommene Lehre von den Planeten und Tierkreiszeichen und ihrer Wirkung auf das Leben und Geschick der Menschen. Sie versuchten, die Sterndeutung durch die Verbindung mit der Astronomie und ihren exakten Beobachtungen und Berechnungen zur Wissenschaft zu erheben. Durch humanistische Studien und die Vermittlung arabischer Kenntnisse über Spanien wurde die Astrologie auch im Abendland bekannt, aber nicht eigentlich volkstümlich. Die Sterndeutung setzte spezielles Wissen voraus und blieb deshalb meist den Kundigen überlassen, die in hohem Ansehen standen und ehrfürchtig bewundert wurden. Besonders an den Fürstenhöfen hielten sich ständig geschätzte Astrologen auf, die vor allem bei Geburten oder vor wichtigen Entscheidungen den Stand der Sterne beobachteten und Glück oder Unglück vorhersagten. Wallenstein zum Beispiel war ganz dem Sternenglauben verfallen und machte seine Entschlüsse davon abhängig. Irrtümlich hielt er gerade dann seine ›Sternstunde‹ für gekommen, als sein Untergang begann. Schiller stellt dies anschaulich in seinem Drama dar und gibt als persönliche Stellungnahme dazu in den ›Picoolomini‹ (II, 6) den Hinweis: »In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne«. Auch in anderen westeuropäischen Sprachen sind ähnliche Wendungen gebräuchlich, zum Beispiel niederländisch ›iemand zijn planeet lezen‹; englisch ›to cast a horoscope‹; französisch ›lire dans les étoiles‹.
   Etwas steht in den Sternen geschrieben: es ist eine (völlig ungewisse) Sache der Zukunft; vgl. französisch ›C'est inscrit dans les astres‹.
   Darauf beruht die Vorahnung des Todes in der Volksballade ›Die Rheinbraut‹ (Röhrich-Brednich, Deutsche Volkslieder, I, S. 157),:
   Christinchen ging im Garten,
   Den Bräut'gam zu erwarten.
   Sie hatte schon längst in den Sternen gesehn,
   Daß sie im Rhein sollt' untergehn.
Nach dem Volksglauben besitzt jeder Mensch einen Stern am Himmel, der bei seiner Geburt erscheint und beim Tode entweder fällt oder untergeht. Diese Vorstellung spiegeln mehrere Redensarten, bei denen Stern mit Leben, Glück oder Ruhm gleichgesetzt werden kann: Ein Stern ist vom Himmel gefallen: jemand ist gestorben; Sein Stern erbleicht: sein Glück schwindet; vgl. französisch ›Son étoile pâlit‹; Sein Stern ist gesunken (untergegangen): sein Ruhm, sein Erfolg sind dahin. Dagegen sagt der, dessen Glück noch aussteht, der aber geduldig und hoffnungsvoll wartet, bis seine Stunde gekommen ist: Mein Stern ist noch nicht aufgegangen. Von einem, dessen Ansehen oder Reichtum ständig wächst, heißt es entsprechend: Sein Stern ist im Aufgehen er hat den Höhepunkt seines Glückes noch längst nicht erreicht.
   Der Mensch selbst kann mit seinem Stern verglichen oder sogar gleichgesetzt werden, wenn es redensartlich von ihm heißt: Er (sie) ist ein aufgehender Stern oder Es ist ein Stern erster Größe: er ist ein Künstler oder Wissenschaftler, der Hervorragendes leistet. Vergleiche niederländisch ›Het is eene ster van de eerste groote‹. Volkstümlich geworden ist bei uns die allgemeine Vorstellung von einem Glücksstern, unter dem ein ganzes Leben, ein bestimmtes Vorhaben oder nur Tag und Stunde stehen kann. Hierbei ist das Glück nicht im Sinne von Astrologie und genauen Horoskopen an einen bestimmten Stern oder ein Sternbild gebunden, das heißt jeder beliebige Stern kann für jemanden zum Glücksstern werden. Davon zeugen das Schlagerlied ›Du sollst mein Glücksstern sein‹ sowie verschiedene Redensarten, wie Unter einem guten (glücklichen, günstigen) Stern geboren sein (stehen): günstige Voraussetzungen haben, ein Glückskind sein, bei allen Unternehmungen Erfolg haben; ähnlich: Einen Glücksstern haben. Vergleiche auch niederländisch ›onder een gelukkig gesternte geboren zijn‹; französisch ›étre né sous une bonne étoile‹; englisch ›to be born under a lucky (propitious) star‹.
   Wenn jemand mehrere glückliche Zufälle erlebt und bei einem Unternehmen unerwarteten Erfolg gehabt hat oder wenn sich ihm jemand als besonders glückbringend erwiesen hat, stellt er fest: Ein (mein) guter Stern (Glücksstern) hat mich geleitet oder Er ist mein guter Stern (gewesen). Auch die Wendungen Einen Stern haben, An seinen Stern glauben (vgl. französisch ›croire à son étoile‹) und Seinem Stern folgen, die kein Attribut besitzen, meinen ebenfalls nur den glücklichen Stern, das günstige Geschick. Die Redensart Weder Glück noch Stern haben verdeutlicht dies. Sie begegnet auch im Lied ›Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht‹, in dem es von den Liebenden heißt, die in die Fremde zogen: »Sie haben gehabt weder Glück noch Stern«.
   Die Redensarten Unter keinem guten Stern geboren sein (stehen), Unter einem bösen (unglücklichen) Stern zur Welt gekommen sein, Keinen Stern am Himmel haben oder gar Einen Unstern besitzen werden dann gebraucht, wenn jemand nicht vorankommt, wenn er nur Mißerfolge aufzuweisen hat. Der vom Pech Verfolgte trifft diese Feststellungen resignierend selbst, wenn er durch mehrere Schicksalsschläge hintereinander deprimiert ist und nach einer übernatürlichen Erklärung sucht oder wenn er sich die eigene Schuld an seinem Versagen nicht eingestehen will.
   Der Ausruf Da ist kein Stern, der leuchtet! umschreibt die Hoffnungslosigkeit des Verzweifelten, der keinen Ausweg, kein Licht mehr sieht. Das sprachliche Bild stammt aus der Seefahrt, bei der der Kurs eines Schiffes nach dem Stand der Sterne festgelegt wurde. Da bei Sturm und Unwetter die Sterne verdeckt waren, verloren die Seefahrer die Orientierung und irrten hoffnungslos umher, vgl. hierzu die zehnjährige Irrfahrt des Odysseus.
   Die Sterne des Himmels zählen: eine aussichtslose Arbeit unternehmen, sich vergeblich bemühen, Unnützes tun. Nur Gott wird die Fähigkeit zugesprochen, diese Aufgabe zu vollbringen. Deshalb wird er sogar durch diese alles überragende Leistung umschrieben. Bereits im Mittelhochdeutschen begegnet die Wendung »Der die Sterne hât gezalt« (›Parzival‹, 659, 20), und noch im heutigen Kinderlied ›Weißt du, wieviel Sternlein stehen?‹ klingt diese Vorstellung von der Allmacht Gottes an. Vergleiche auch lateinisch ›stellas numerare‹.
   Die Redensart Sterne an den Himmel setzen (heften) meint ebenfalls das sinnlose Tun, vgl. ›Eulen nach Athen tragen‹. Sebastian Franck verzeichnet diese Wendung in seinen ›Sprichwörtern‹ (2, 129a) bereits 1541:
   Stern an himmel setzen,
   holtz in wald tragen
   und wasser in Rhein,
   das ist geben, da vorhin genug ist.
Jemandes (Namen, Ruhm) bis zu den Sternen (zum Himmel) erheben: ihm den höchsten Grad von Achtung erweisen, übertrieben rühmend von ihm sprechen, ihm beinahe göttliche Verehrung entgegenbringen; vgl. französisch ›porter quelqu'un aux nues‹ (zu den Wolken). Die Redensart steht vermutlich in Zusammenhang mit den Sternsagen, in denen die Versetzung eines Menschen unter die Sterne geschildert wird. Diese Verstirnungssagen sind bereits bei den Griechen bekannt, wobei die Versetzung an den Himmel entweder Belohnung oder auch Strafe bedeuten kann.
   Nach den Sternen greifen: nach dem Höchsten, auch Unerreichbarem, streben, sein Ziel sehr weit stecken und von sich selbst das Äußerste fordern. Goethe mahnt dagegen in seinem Gedicht ›Trost in Tränen‹ vor Enttäuschung:
   Die Sterne, die begehrt man nicht,
   Man freut sich ihrer Pracht.
Die Sterne vom Himmel holen wollen: bereit sein, alles, selbst das Unmögliche, für jemanden zu tun, im übermäßigen Glück der Liebe seine Kräfte wachsen fühlen und im Überschwang alles versprechen. Die Redensart ist eine steigernde Umschreibung für die ›himmelstürmende‹, junge Liebe. Sie wird aber auch von enttäuschten Ehefrauen gebraucht, die dann bei einer Auseinandersetzung ihrem Manne vorhalten: ›Und dabei hattest du doch versprochen, mir die Sterne vom Himmel zu holen!‹ Im Schwäbischen heißt es von einem Übermütigen: ›Er schlägt (guckt) die Sterne vom Himmel 'rab‹.
   Einen die Sterne sehen lassen: einem große Schmerzen oder große Lust verursachen. Bereits Abraham a Sancta Clara gebraucht diese Wendung in ›Etwas für alle‹ (2, 17) literarisch: »gabe sie (die Schlange) ihm etliche bisz und zwick ... mit solchen schmertzen, dasz er die stern im himmel sehen kunnte auch bei dem tag«. Die Redensart wird aber auch auf einen Geizigen bezogen, der seine Leute so hungern läßt, daß sie ganz kraftlos werden und eine Art Sinnestäuschung von tanzenden Sternen vor ihren Augen kurz vor der Ohnmacht erleben.
   Sterne sehen: benommen sein durch einen Schlag oder Stoß, vorübergehend einer Ohnmacht nahe sein. Wird der Augennerv durch einen Schlag gereizt, glaubt man Funken oder Sterne zu sehen.
   Nicht mehr die Sterne am Himmel sehen (können): einen Rausch haben. Auch mundartliche Wendungen umschreiben die Trunkenheit auf ähnlicher Weise, so heißt es zum Beispiel in Hessen: ›Er hot en Stern‹. Vergleiche auch ›Sternvoll‹, ›Sternhagelbesoffen‹.
   Den Stern mit einem treiben: Scherz, Spott mit jemandem treiben. Die Redensart ist besonders im Schwäbischen und Bairischen bekannt und steht vielleicht in Zusammenhang mit der häufigen Wirtshausbezeichnung ›Stern‹, wo in lustiger Runde gern Schabernack mit einem getrieben wird.
   Im Dreikönigslied der Sternsinger begegnet die heute unverständliche Wendung der finstere Stern, die eigentlich eine Umdeutung von ›finis terrae‹ (Ende der Welt) ist. Sie bedeutet wie in der Wunderhornstr. (2, 551):
   Wir seind die König vom finstern Stern,
   Und brächten dem Kindlein Opfer gern,
   daß die Könige weit gezogen sind.
Ein Stern putzt sich: eine Sternschnuppe fällt. Dagegen heißt im Schwäbischen ›den Stern putzen‹ scherzhaft: seine Notdurft befriedigen.
• Lit.: A. DE COCK: »Önder een gelukkig (ongelukkig) gesternte geboren«, in: Volkskunde 19 (1907/08), S. 133; V. STEGEMANN: Artikel ›Stern‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 458-467 und Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IX (Nachtrag), Spalte 596-782; TROELS-LUND: Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten (Leipzig 5. Auflage 1929); F. BOLL: Sternglaube und Sterndeutung (Leipzig 4. Auflage 1931); W. GUNDEL: Sternglaube, Sternreligion und Sternorakel (Leipzig 1933); H. WETTER: Heischebrauch und Dreikönigsumzug im deutschen Raum (Diss. 1933); H. MOSER: Zur Geschichte des Sternsingens, in: Bayerisches Jahrbuch H. 5 (1935); K. MEISEN: Die heiligen Dreikönige und ihr Festtag im volkstümlichen Glauben und Brauch (1949); H. HOMMEL: Per aspera ad astra, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 4 (1949/50), S. 15-165; E. ZINNER: Sternglaube und Sternforschung (München 1953); F. STRUNZ und C.M. EDSMAN: Artikel ›Astrologie‹, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. I (3. Auflage 1957), Spalte 664-666; H. HOMMEL: Der Weg nach oben. Be-
trachtungen zu lateinischem Spruchgut (Per aspera ad astra), in: Studium generale 13 (1960), S. 296-299; W. SCHADEWALDT: Griechische Sternsagen (München 1970); C.H. TILLHAGEN: Himlens Stjärnor och vädrets makter (Stockholm 1991).

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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  • Stern — Stern, a. Being in the stern, or being astern; as, the stern davits. [1913 Webster] {Stern board} (Naut.), a going or falling astern; a loss of way in making a tack; as, to make a stern board. See {Board}, n., 8 (b) . {Stern chase}. (Naut.) (a)… …   The Collaborative International Dictionary of English

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  • stern — stern·berg; stern·ber·gia; stern·berg·ite; stern; stern·less; stern·ly; stern·man; stern·most; stern·ness; stern·son; stern·ward; stern·ways; stern·wards; …   English syllables

  • Stern — Stern, a. [Compar. {Sterner}; superl. {Sternest}.] [OE. sterne, sturne, AS. styrne; cf. D. stuurish stern, Sw. stursk refractory. [root]166.] Having a certain hardness or severity of nature, manner, or aspect; hard; severe; rigid; rigorous;… …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Stern — Stern, Isaac Stern, Otto Stern, William * * * (as used in expressions) György Stern Solti Stern Magazin Stern, Isaac Jonas Stern …   Enciclopedia Universal

  • Stern — Stern: Mhd. stern‹e›, ahd. sterno, got. stairnō, schwed. stjärna »Stern« stehen neben anders gebildetem mhd. (mitteld.) sterre, ahd. sterro, niederl. ster, engl. star (3↑ Star). Außergerm. sind z. B. verwandt griech. astē̓r, ástron »Stern« (s.… …   Das Herkunftswörterbuch

  • stern — stern1 [stʉrn] adj. [ME sterne < OE styrne < IE base * ster , stiff, rigid > STARE, STARVE] 1. hard; severe; unyielding; strict [stern measures] 2. grim; forbidding [a stern face] 3. relentless; inexorable …   English World dictionary

  • Stern — Stern, n. [Icel. stj[=o]rn a steering, or a doubtful AS. ste[ o]rn. [root]166. See {Steer}, v. t.] 1. The helm or tiller of a vessel or boat; also, the rudder. [Obs.] Chaucer. [1913 Webster] 2. (Naut.) The after or rear end of a ship or other… …   The Collaborative International Dictionary of English

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