Strich

Strich
Jemanden auf dem Strich haben: ihn nicht mögen, nicht leiden können, ihm feindlich gesinnt sein, eigentlich: ihn töten (erschießen) wollen. Die Redensart ist auch mundartlich verbreitet, zum Beispiel heißt es in Berlin: ›Den hab' ick uf'n Strich‹, ich hege Groll gegen ihn. Die Wendung erinnert an andere Redensarten wie ›Einen auf dem Korn haben‹, ›Einen auf dem Zug haben‹ und läßt sich ähnlich erklären. Sie hatte früher einen weit feindseligeren Sinn als heute, denn der Strich bezeichnete die den Gewehrlauf über das Korn hinaus fortsetzende Schußlinie oder Visierlinie zum Ziel hin, also zum Wild oder zum Feind, dem die Kugel gelten sollte. Man spricht in diesem Sinne noch heute von Gewehren, die ›den Strich nicht halten‹, denen also die Treffsicherheit mangelt. Die Redensart kann eventuell auch mit der Vogelstellerei in Verbindung gebracht werden, da in frühneuhochdeutscher Zeit Strich halten aufpassen wie ein Vogelsteller bedeutete. Strich und Zug hatten aber auch ursprünglich den Sinn von Richtung, Weg, Gebiet oder Bezirk, vgl. ›Landstrich‹. Deshalb läßt sich die Redensart schließlich auch im Munde der oberdeutschen Strickreiter (eigentlich Strichreiter) denken. Diese berittenen Polizisten, die einen bestimmten Landstrich überwachten und durchsuchten, konnten gut von einem sagen, nach dem sie fahnden mußten, daß sie ihn ›auf dem Striche‹ hatten.
   Auf den Strich gehen: auf Männerfang ausgehen, auf der Suche nach Liebesabenteuern umherstreichen, von der Prostitution leben. Die Redensart wird bei uns heute ganz speziell auf Dirnen angewandt und ist so für Berlin seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bezeugt; vgl. französisch ›faire le trottoir‹.
   Man hat die Wendung ebenfalls mit der Vogelstellerei in Zusammenhang gebracht und gemeint, daß sie eigentlich ›Finken fangen‹ bedeutet habe. Dafür spricht eine Stelle bei Hans Sachs (›Das böse Weib‹ 264):
   Wann e und ich mich umb gesich,
   So ist sie auf dem finckenstrich.
›Strich‹, das mit ›streichen‹ = ziehen verwandt ist, ist die Richtung, die die Vögel bei ihrem Zuge nehmen; so war schon in mittelhochdeutscher Zeit ›strich‹ = Richtung, Weg. In übertragener Bedeutung begegnet das Wort in heutigem Sinne in Lindeners ›Rastbüchlein‹ (28), wo es von einer Frau, die ihre Anständigkeit und Ehrbarkeit nur vortäuscht, heißt: »Dann sie fromb ist, wann mans sihet und tag ist, aber bey nacht hat sie iren strich«.
   Die Redensart ist auch mit dem ›Schnepfenstrich‹, einer jägersprachlichen Bezeichnung in Verbindung gebracht worden. Das Männchen der in Mitteleuropa lebenden Sumpf- oder Waldschnepfe durchstreift auf seinem abendlichen Balzflug den Wald in einer bestimmten Höhe, den der Beobachter den Schnepfenstrich nennt. Da ›Schnepfe‹ zur Schelte für die Dirne wurde, ist ein Zusammenhang mit der Redensart denkbar. Strich als Abkürzung von ›Schnepfenstrich‹ wäre demnach der Weg, den die Dirnen gehen. Wolf lehnt diese Deutung ab. Er hält den Ausdruck ›Schnepfenstrich‹ für eine witzige jüngere Bildung und meint, daß die Redensart aus der Gaunersprache stammt. Das rotwelsche Strich ist synonym mit ›Leine‹, das dem lateinischen linea entlehnt ist und die Bedeutung von Grenzlinie besitzt. Der Strich ist also der abgegrenzte Bezirk, in dem die Dirnen ihrem Gewerbe nachgehen und in dem sie keine Außenseiterinnen dulden.
   Noch auf dem Strich gehen können: nicht sehr betrunken sein, noch gerade gehen können. Angetrunkene wollen diese Fähigkeit oft nachweisen und probieren es manchmal mitten auf der Straße aus, einem gezogenen Strich zu folgen, während der Volltrunkene nur einen Zickzackkurs einschlagen kann.
   Er hält den rechten Strich: er schlägt den rechten Weg ein, um zum Ziel zu gelangen. Diese Redensart stammt aus der Seemannssprache. ›Strich halten‹ bedeutet in der Schiffahrt: das Schiff nach einem bestimmten Striche des Kompasses gerichtet halten, den rechten Kurs halten.
   Er ist von seinem Strich: er ist krank, eigentlich: er ist von seinem normalen Wege abgewichen.
   Er ist wieder auf den Strich gekommen: seine Gesundheit ist wiederhergestellt.
   Über den Strich kommen: in einer Sache zu weit gehen. Vergleiche lateinisch ›vagari ultra terminum‹; niederländisch ›over de schreef gaan‹ und englisch ›to go over the line‹.
   Etwas ist unter dem Strich: etwas ist schlecht, weniger als vermutet; die Leistung entspricht nicht dem geforderten Mindestmaß, zum Beispiel bei Prüfungen, die Qualität einer Arbeit, eines Produktes reicht nicht aus.
   Unter dem Strich herauskommen: als Ergebnis einer Berechnung, was sowohl Gewinn als auch Verlust bei persönlichem oder finanziellem Einsatz oder Aufwand bedeuten kann. Mit ›Strich‹ wird hier auf die buchhalterische Praxis angespielt: unter alle Posten von Einnahmen und Ausgaben wird am Ende ein Strich gezogen, um die Endsumme ermitteln zu können.
   Einen Strich unter etwas machen, auch: Einen Strich darunter (dahinter, dazwischen) ziehen: etwas endgültig abschließen und vergessen, eine alte, unangenehme Sache begraben, sich für einen Neubeginn von alten Erinnerungen frei machen. Vergleiche die ähnliche Redensart ›Einen Schlußstrich ziehen‹, wobei an die Bilanz zu denken ist. Vergleiche auch französisch ›tirer un trait sous quelque chose‹.
   Einem einen Strich durch die (seine) Rechnung machen: seine Absichten durchkreuzen, ihn an der Durchführung seiner Pläne hindern, seinen Erfolg zunichte machen. Durch einen Querstrich wurde eine Rechnung entweder als falsch oder als beglichen gekennzeichnet. Machte nun jemandem dem Wirt oder einem Kaufmann einen solchen Strich durch seine Rechnung, erklärte er sie damit für ungültig, die Bezahlung wurde hinfällig und damit die Hoffnung auf die Einnahme zerstört. Auch an einen Zusammenhang dieser Redensart mit der Schule ist gedacht worden. Der Lehrer streicht die mühsam berechnete Aufgabe des Schülers durch, wenn ihr Ergebnis falsch ist, obwohl dieser geglaubt hat, daß er richtig gerechnet habe. Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß die Wendung aus dem Geschäftsleben stammt. Dafür spricht auch ihre fast ausschließliche Verwendung im Bereich der Erwachsenen. Vergleiche auch niederländisch ›Hij krijgt eene streep door zijne rekening‹.
   Keinen Strich mehr tun: nichts mehr arbeiten, faul sein und nicht das geringste mehr tun wollen.
   Das geht mir gegen den Strich: das paßt mir nicht, es steht mir nicht an, es ist mir unangenehm. Strich ist die Richtung in der die Haare gewachsen sind. Ähnliche Wendungen, wie Gegen den Strich barbieren und Wider den Strich bürsten, verdeutlichen dies. Tiere, besonders Katzen, werden leicht gereizt, wenn man ihnen gegen den Strich über das Fell fährt. Die Beobachtung dieses Unbehagens wurde auf den Menschen übertragen, der durch falsche Behandlung mißgestimmt werden kann. So bedeutet zum Beispiel in Südhessen die Feststellung ›Er ist gegen den Strich gebürstet‹: er ist schlecht gelaunt. Vergleiche auch niederländisch ›tegen de draad‹ und ›iemand tegen de borst zijn‹ und englisch ›It goes against the grain (my stomach)‹. Bismarck gebrauchte die Wendung in seinen ›Reden‹ (7, 394): »Ich habe noch andere Konzessionen gemacht, die mir sehr gegen den Strich gingen«.
   Etwas nach Strich und Faden tun (untersuchen): etwas gehörig, tüchtig, genau tun (beurteilen). Die Ausdrücke ›Strich‹ und ›Faden‹ stammen aus der Fachsprache der Weber. Der Meister mußte die Arbeit eines Gesellen ›nach Strich und Faden‹ ganz genau prüfen, um feststellen zu können, aus welchem Material das Gewebe bestand und ob es mit aller nötigen Sorgfalt gefertigt worden war. Nur Stoffe, die nach Strich und Faden einwandfrei waren, galten als gute Ware. Von hier aus erfolgte die Übertragung auch auf andere Lebensbereiche, und der Zusammenhang mit der Weberei schwand aus dem allgemeinen Sprachbewußtsein, Faden.
   Einen Strich haben: so fehlerhaft, verkehrt sein wie ein Wort, das durchgestrichen werden mußte, nicht ganz richtig (im Kopfe) sein. Zu der jungen Redensart gibt es auch einen Scherzrebus: r und si, das heißt, er (r) hat einen Strich und sie (si) ist nicht richtig.
   Einen Strich zuviel haben: seine Sinne nicht beisammen haben, sich wie ein Betrunkener verhalten. Wahrscheinlich besteht bei dieser Redensart ein Zusammenhang mit dem Trinken aus Maßkrügen und großen Gläsern, deren Inhalt nach den auf ihnen angebrachten Strichen gemessen wurde. Hatte man einen Strich zuviel getrunken, konnte das bereits sichtbare Folgen haben.
   Nur noch ein Strich sein, auch: Der reinste Strich sein, Dünn wie ein Strich sein: sehr schmal geworden sein, elend und abgemagert aussehen. Scherzhaft heißt es im Niederdeutschen auch von einer Überschlanken: ›Die ist ja'n Strich in der Landschaft, die könnte sich hinterm Laternenpfahl ausziehen‹.
• S.A. WOLF: Wörterbuch des Rotwelschen (Mannheim 1956), S. 321, Nr. 5656.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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