Adam

Adam
Den alten Adam ausziehen (auch ersäufen): ein neuer Mensch werden. In seinen Briefen (Röm 6, 6; Eph 4, 22; Kol 3,9) spricht der Apostel Paulus von dem ›alten Menschen‹ als dem Urheber der Sünde und des Todes und dem ›neuen Menschen‹, d.h. dem in christlichem Geist Neugeborenen. Dieser Gegensatz wurde im späten deutschen Mittelalter in Wort und Sitte volkstümlich, so daß z.B. in Halberstadt am Aschermittwoch ein armer Missetäter als ›Adam‹ (hebräisch adam = Mensch) aus der Kirche gejagt wurde, während der Fastenzeit barfuß betteln mußte und an den Kirchentüren Speise erhielt, bis er am Gründonnerstag beim Abendmahl friedlich wieder aufgenommen und dann als gereinigt entlassen wurde, ein Reinigungssinnbild für die ganze Stadt (Repertorium librorum trium Ioannis Boemi de omnium gentium ritibus, Augsburg 1520).
   Der ›alte Adam‹ begegnet uns schon in einem 465 verfaßten Gedicht des Sidonius Apollinaris (Opera, ed. Baret [Paris 1878], S. 561) auf den Opfertod Christi, in dem Christus in der Menschwerdung angeredet wird:
   Expers peccati pro peccatoribus amplum
   Fis pretium, veteremque novus vice faenoris Adam,
   Dum moreris, de morte rapis.
In der deutschen Sprache ist die Wendung erst durch Luther volkstümlich geworden. Während er in seiner Übersetzung des N.T. an den angeführten Stellen die Wendungen ›der alte Mensch‹ gebraucht, spricht er in seinen sonstigen Schriften und besonders in seinen Predigten häufig vom ›alten Adam.‹, so schon 1518 in seiner Ausgabe der ›Theologia Deutsch‹, des Büchleins eines Mystikers aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts: »Von rechtem Unterschied und Verstand, was der alt und neu Mensche sei, was Adam und was Gottes Kind sei, und wie Adam in uns ersterben und Christus erstehen soll«; in übertragener Anwendung auch 1524 in der Schrift ›Von Kaufshandlung und Wucher‹: »Der Faulenzer alter Adam, der nicht gerne arbeitet, um sein Brot zu erwerben«.
   Die Redensart Den alten Adam ausziehen wurde dann bald allgemein (daneben auch Der alte Adam regt sich: die Erbsünde, das alte Laster tritt wieder hervor). Der Hildesheimer Chronist Oldekop gebraucht gern die Wendung »Unsen olden Adam castien« (kasteien); Chr. Lehmann schreibt (1639, Entschuldigen 13): »Das ist die alte Adams Rhethoric, daß man die Schuld Gott oder andern Menschen gibt«; (Gleißnerei 105): »Viel seynd der Meinung, es könne niemand in Himmel kommen, als in einer Mascarad von Lambspeltz, sonst so einer in seiner alten Adamshaut dem alltags Kleid dahin kömmt, der werde in die eusserste Finsternüß geworffen!« Jean Paul (›Quintus Fixlein‹): »Der Mensch denkt hundertmal, er habe den alten Adam ausgezogen, indes er ihn nur zurückgeschlagen, wie man die Unterschwarte des Schinkens zwar unterhöhlet und aufrollet, aber doch mit auffsetzt und noch dazu mit Blumen garniert«. Bekannt sind die Verse in Mörikes ›Fußreise‹ (1827):
   So fühlt auch mein alter, lieber
   Adam Herbst- und Frühlingsfieber ...
   Also bist du nicht so schlimm, o alter
   Adam, wie die strengen Lehrer sagen.
Dem biblischen Ursprung der Redensart entspricht es, daß sie auch in den anderen europäischen Sprachen vorhanden ist; vgl. französisch ›dépouiller le vieil Adam, le vieil homme‹; englisch ›to lay aside (to shake off) the old Adam‹ – ›to put off the old man‹; niederländisch ›de oude Adam afleggen‹ – ›Adams rok uittrekken‹.
   Der Spruch:
   Als Adam grub und Eva spann,
   Wo war denn da der Edelmann?
zeigt keine direkte Übernahme aus der biblischen Erzählung; dort (Gen 3,19-23) wird nur die Verweisung Adams zur Bebauung der Erde ausgesprochen. Das Spinnen Evas weist auf außerbiblische jüdische Legenden hin, die noch bis über das Mittelalter hinaus weiterüberliefert wurden und auch in der bildenden Kunst seit dem 12. Jahrhundert ihren Niederschlag fanden. Literarisch tritt der Spruch zuerst in England auf, und zwar anläßlich des von Wat Tyler geführten Bauernaufstandes von 1381. Der in der Gegend von London versammelte Bauernhaufen holte einen wegen Irrlehren eingesperrten Priester namens John Ball aus dem Gefängnis. Als Text zu seiner Predigt nahm er den Spruch:
   Whan Adam delf and Eva span,
   Who was than a gentleman.
Dementsprechend war der Inhalt der Predigt gegen die gesellschaftliche Ungleichheit gerichtet und der Ausgangspunkt schwerer Ausschreitungen. Von nun an taucht der Vers bald als Spruch, bald als Liedstrophe, bald als Redensart immer wieder auf. In Deutschland bringt sie der Bauernkrieg von 1525 wieder in Erinnerung. In seinem ›Weltbuch‹ schreibt Sebastian Franck (1534):
   Wo oder wer war der Edelmann,
   Da Adam reutet und Eva spann?
Das Wiederaufleben des Zweizeilers im 20. Jahrhundert ging vom Lied der Jugendbewegung aus. 1923 war das Lied ›Wir sind des Geyers schwarze Haufen‹, das unsere Strophe enthält, in das Liedgut des Wandervogels eingeführt worden.
   Die geistige Grundlage der Redensart geht aus ihrer Geschichte hervor. Der schwer bedrängte Bauernstand berief sich im Anschluß an die theologischen Bewegungen des 14. Jahrhunderts auf einen sozialen Urzustand der Gleichheit aller Menschen. Für die häretische Theologie handelte es sich dabei um die Gleichheit vor Gott, für den Bauern jedoch um eine Gleichheit aufgrund der Arbeit. Die spruchmäßige Ausdrucksform schließt in erstaunlicher Schlagkraft beide Gedankengänge zusammen, die theologische Begründung wie die gesellschaftskritische, revolutionäre Folgerung.
   Im Adamskostüm gehen: nackt herumlaufen (auf Männer bezogen). Surrealistisch-witzig wird die Nacktheit als eine andere Form von Bekleidetsein aufgefaßt. Die Wendung ist in Deutschland seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt, aber auch in anderen Sprachen geläufig (vgl. französisch ›l'habit du père Adam‹; ›se promener en costume d'Adam‹; englisch ›in Adam's suit‹; niederländisch ›in Adamskleren‹ – ›in Paradijskostuum‹).
   Ganz außer Adam sein: atemlos, eine seit 1900 geläufige Wortwitzelei, die auf der Lautähnlichkeit zwischen Adam, Odem und Atem beruht.
   Bei Adam und Eva anfangen: in einer Rede weit ausholen, vom ersten Anfang an beginnen; vgl. französisch ›remonter au déluge‹; wörtlich ›bis zur Sintflut zurückgehen‹, Sintflut.
   Von Adam und Eva abstammen: uralt, altmodisch sein. Die Redensart wird auf Gegenstände, aber auch auf überholte Ansichten bezogen.
   Nach Adam Riese Riese.
• R.F. SMITH: When Adam delved and Eve span, who was then the gentleman?, in: American Notes and Queries 4,10 (1872), S. 17; J. KIRCHNER: Die Darstellung des ersten Menschenpaares in der bildenden Kunst (Stuttgart 1903); S. RESNIKOW: The Cultural History of a Democratic Proverb: ›When Adam dalf, and Eve span, who was thanne a gentelman?‹ in: Journal of English and Germanic Philology 36 (1937), S. 391-405; L. SCHMIDT: Als Adam grub und Eva spann, in: Das deutsche Volkslied, 46 (1944), S. 36-40; W. STEINITZ: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters (Berlin 1954), S. 9-11; KÜPPER; BÜCHMANN; FRIEDERICH, S. 306; L. RÖHRICH: Adam und Eva. Das erste Menschenpaar in Volkskunst und Volksdichtung (Stuttgart 1968); A.B. FRIEDMAN: When Adam delved ...: Contexts of an Historic Proverb, in: Harvard English Studies 5 (1974), S. 213-230; I. FRÖHLICH: Artikel ›Adam‹ in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 85-89; L. RÖHRICH: Artikel ›Adam und Eva‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 89-99; DERS.: Adam und Eva in der Volksliteratur, in: F. Link (Hrsg.): Paradigmata (Berlin 1989), S. 253-279.
Als Adam grub ud Eva spann .... Holzschnitt aus: Günther Zainer: Speculum humanae salvationis (illustrierte Ausgabe von 1476).

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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