Finger

Finger
Durch die Finger sehen: Nachsicht üben, milde urteilen, eigentlich: nicht mit vollem Blick hinsehen. Diese Wendung, die früher wohl von der entsprechenden Handgebärde begleitet wurde, hat im heutigen Sprachgebrauch viel von ihrer einstigen Bildhaftigkeit verloren. In der heutigen Verwendung einem durch die Finger sehen kann der Dativ sogar zu der Auffassung führen, hier sei von den Fingern des andern die Rede; ›einem‹ ist jedoch zu verstehen als ›einem gegenüber‹.
   In älterer Sprache verband man mit der Redensart noch die klare Vorstellung vom Vorhalten der gespreizten Finger vor das eigene Gesicht; dadurch wird das Blickfeld durchschnitten und das Sehen folglich erschwert. Der Holzschnitt Nr. 33 in Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ (1494) zeigt einen Mann mit der Narrenkappe, der durch seine Finger sieht, während seine Frau ihm mit einem Hälmchen auf der Nase spielt. Daruber steht der Vers:
   Wer durch die fynger sehen kan
   Vnd loßt syn frow eym andern man
   Do lacht die katz die müß süß an.
In der gleichen charakteristischen Pose ist z.B. auch der Kölner Stadtnarr Pankraz Weinstock genannt Worbel von dem holländischen Maler Jan Mostaert von Haarlem (1475 bis 1555) dargestellt worden.
   In einer seiner Predigten bemerkt Geiler von Kaysersberg, daß »Gott durch die Finger sieht und sein Straf verlängert«, d.h. hinauszögert. In lateinischer Form findet sich die Wendung 1508 bei August Bebel (Nr. 583): »Per digitos videre; est surda aure et sciens aliquid praeterire«; Luther gebraucht sie in seiner Bibelübersetzung (Lev 20, 4) und auch sonst, z.B. in dem Spruch (Heuseler Nr. 81): »Wer nicht kann durch die Finger sehn, der kann nicht regieren«; sie erscheint ferner bei Hans Sachs (»So er heuchlich durcht finger sech«), bei Oldecop S. 612 (»De prinz mit den sinen sah dar to durch de fingers«), bei Grimmelshausen und bei Abraham a Sancta Clara. Im gleichen Sinne gebraucht sie noch Goethe 1789 im ›Tasso‹ (I,2, Leonore zum Fürsten): »Wir wollen freundlich durch die Finger sehen«. Die Redensart ist mundartlich noch sehr verbreitet und wird in der Volkssprache auch durchaus noch wörtlich verstanden, z.B. elsässisch ›durch die Finger lueje‹, rheinisch ›e guck durch de Finger‹, er ist nicht so streng.
   Thomas Murner gebraucht auch durch die Finger lachen: heimlich lachen; vgl. ›Sich ins Fäustchen lachen‹.
   Mit allen (fünf) Fingern nach etwas lecken, sich alle zehn Finger nach etwas lecken: begierig sein auf etwas; vgl. französisch ›S'en lècher les doigts‹; gesteigert: ›Er leckt die Finger darnach bis an den Ellbogen ufe‹, schweizerisch ›Dä cha sech d Finger schläcke bis a d Ellbögen ufe‹; sächsisch ›De werscht noch alle zehn Finger drnach lecken‹ (wenn es nicht gibt, was du jetzt verschmähst). Man aß früher mit den Fingern und was ist da – zumal nach »leckeren« (!) Speisen – natürlicher, als sich die Finger abzulecken! Bei vornehmen Leuten wurden Waschschüsselchen gereicht oder beigestellt.
   Der ursprüngliche Sinn der Redensart ist heute verschoben; das Verhältniswort ›nach‹ ist eigentlich zeitlich zu verstehen: wer etwas Wohlschmeckendes genossen hat, leckt sich danach noch die Finger ab, um sich nichts von dem Genuß entgehen zu lassen. Daher in dem Studentenlied ›Ça, ça geschmauset‹ (um 1720):
   Trinkt nach Gefallen,
   Bis ihr die Finger danach leckt;
   Dann hat's uns allen Recht wohl geschmeckt ...
Bei Lehmann 1639, S. 51 (Artzney 45): »Zu Kranckheiten hat man keine Artzney, daß man die Finger darnach lecket«.
   Sich etwas aus den Fingern (Pfoten) saugen: etwas ausdenken, erfinden, gewöhnlich von einer aus der Luft gegriffenen Behauptung. Die Redensart kann einmal zurückgehen auf die Substituierung der säugenden Brust durch den säugenden Finger, die ein uraltes Motiv der Sage, der Legende und des Märchens ist. So wird in der arabisch geschriebenen Chronik von Tabarî erzählt, Abraham habe, nachdem er von seiner Mutter ausgesetzt worden war, aus seinem Finger Milch gesogen, denn Gott hatte daraus die Nahrung fließen lassen, die das Kind brauchte. Ebenso wird von Moses erzählt, er habe aus seinem Daumen Milch gesogen. Diese legendären Wunderkinder können sich also wirklich ihre Nahrung aus den Fingern saugen, bei gewöhnlichen Sterblichen jedoch ist das unmöglich. Die Redensart kann zum andern auch zurückgehen auf den alten Volksglauben, nach dem der Finger, der in Blut oder in eine Zauberflüssigkeit getaucht und dann in den Mund gesteckt wird, Weisheit mitteilt; auch glaubte man, daß den Fingern, vor allem dem kleinen Finger, Mitteilungsgabe zukam. Die Redensart ist schon 1512 in Thomas Murners ›Narrenbeschwörung‹ belegt:
   Das hat gethon das schedlich claffen
   Des schelmens, der das hat erlogen,
   Allein uß synen fingern gsogen.
In seinem ›Großen Lutherischen Narren‹ von 1522 findet sich der Vers (V. 2, 049):
   Und ist erdichtet und erlogen
   Dan ir habts uß den Fingern gesogen.
Seitdem ist die Redensart häufig in der deutschen Dichtung bezeugt, z.B. bei Fischart und Abraham a Sancta Clara. Bei Goethe heißt es:
   Ihr meint, ich hätt mich gewaltig betrogen;
   Hab's aber nicht aus den Fingern gesogen.
Die Redensart bietet also dem Verständnis keine Schwierigkeiten, andererseits reizte sie gerade zur Erklärung durch sekundäre ätiologische Erzählungen. Eine solche Erfindung ad hoc bietet das naturwissenschaftlich-jagdkundliche Werk von Johann Täntzer ›Der Dianen hohe und niedere Jagdgeheimbnuß‹ (1682). In seinem Abschnitt über die Bären und ›was Maße und Ursache solche an den Klauen saugen‹ gibt der Verfasser. eine Erklärung, »Woher ein bekand Sprichwort kommet«. »Solches muß ihn Gott in der Natur eingegeben haben, weil im Winter offters großer Schnee, daß sie nicht viel finden ... Deßgleichen saugen sie auch an den hindern Tatzen, und wan sie das saugen thun, so können sie artig Murmeln oder Knorren, umb der Sußigkeit halben, wan auch ein Bähr zahm ist, und man halt ihm eine Hand für, so nimt er sie fort in Mund, und sauget dran, welches einem nicht unsanffte thut. Daher kömt auch daß gemeine und wolbekante Sprichwort, daß man saget, ich habe es nicht aus den Fingern gesogen. Ergo wie die Bähren, den selbige können was auß die Klauen saugen ...« (I, S. 69). Es ist immerhin bemerkenswert, daß dieses Jägerlatein verschiedentlich auch zur wissenschaftliche Deutung der Redensart herangezogen worden ist (z.B. bei Göhring Nr. 96, S. 61).
   Der Glaube, der dem Finger Mitteilungsgabe zuschrieb, dokumentiert sich auch in der Redensart: Mein kleiner Finger hat es mir gesagt: ich habe es auf geheime und bequeme Art erfahren; vgl. französisch ›Mon petit doigt me l'a dit‹ oder: ›C'est mon petit doigt qui me l'a dit‹; niederländisch ›iets uit zijn duim gezogen hebben‹; englisch ›to suck a thing out of one's fingers ends‹. In Shakespeares ›Macbeth‹ (IV, 1) sagt die zweite Hexe:
   Juckend sagt mein Daumen mir:
   Etwas Böses naht sich hier!
   (Übersetzung v. Tieck:
   Ha! mir juckt der Daumen schon,
   Sicher naht ein Sündensohn –).
Der kleine Finger ist wie der Däumling im Märchen der schlaueste, er kann am tiefsten ins Ohr hineinkriechen und dort die geheimsten Dinge ausplaudern; in Frankreich heißt es darum geradezu ›l'auriculaire‹ (= das Ohrfingerchen). Auch Goethe spielt in dem folgenden Spruch offenbar mit dieser Bedeutung des kleinen Fingers:
   Wie konnte er denn das erlangen?
   Er ist auf Fingerchen gegangen!
Unkomplizierter klingt die prahlerische Aufforderung: Komm nur her, ›Ich habe mehr Kraft im kleinen Finger als du in der ganzen Hand‹; in der Sprache unserer Zeit: dich erledige ich spielend. Auch intellektuell: Etwas im kleinen Finger haben: etwas gründlich beherrschen; und: ›Mehr Verstand im kleinen Finger haben als andere im ganzen Kopfe‹, gröber: ›Sein kleiner Finger ist gescheiter als du mit Haut und Haar‹, auch mundartlich bezeugt. In der Steiermark sagt man von einem Klugen: ›Ea hod in kluann Finga mea, wiar ounari in gounza Koupf‹.
   Dagegen bedeutet etwas an den Fingern herzählen: es genau wissen und geläufig aufsagen können. In den gleichen Zusammenhang gehört noch die Redewendung sich etwas an den (fünf) Fingern abzählen (berlinisch abklavieren) können: es ohne große Überlegung begreifen können; von einer leichten Aufgabe gesagt, die man spielend, wie ein Schulkind mit den Fingern, lösen kann; vgl. französisch ›On peut le compter sur les doigts de la main‹.
   Wenn man Gäste oder Zuhörer ›An den Fingern abzählen kann‹, sind wenig Besucher gekommen.
   Einem die Finger kürzer binden, ähnlich wie ›Einem die Flügel beschneiden‹: ihn einschränken, in seiner Tätigkeit hemmen; schon im 16. Jahrhundert in Oldecops ›Hildesheimer Chronik‹ (S. 134): »De wile aver den fürsten de fingere korter gebunden sin scholden«.
   Das Gegenteil davon ist lange Finger machen: stehlen; in Schillers ›Räubern‹ (II, 3) streiten sich Spiegelberg und Razmann, ob Spiegelbergs oder Moors Räubertrupp geriebener sei: Spiegelberg: »Die meinen! die meinen – Pah –«. Razmann: »Nun ja! sie mögen hübsche Fingerchen haben –«. Bei Abraham a Sancta Clara steht dafür auch krumme Finger machen und das Fünffingerhandwerk treiben; letztere Wendung ist noch jetzt im Obersächsischen und Oldenburgischen gebräuchlich, dafür früher auch mit Fünffingerkraut handeln. Ähnlich berlinisch auf die Frage: ›Wat hat'n det jekost?‹ ›Fünf Finger und een Jriff‹. Auch die Finger nicht bei sich behalten können, klebrige Finger haben: stehlen.Vgl. französisch.: ›avoir de la poix (Pech) aux doigts‹: gern lange Finger machen. Einem Dieb muß man daher auf die Finger sehen (passen): scharf auf ihn aufpassen, stärker: auf die Finger klopfen: ihn von einer unerlaubten Handlung abbringen, züchtigen; vgl. französisch ›lui taper sur les doigts‹.
   Sich die Finger verbrennen: schlechte Erfahrungen machen; niederländisch ›zijn vingers branden‹; englisch ›to burn one's fingers‹ oder: ›to put one's finger in the fire‹ und die Warnung: ›Put not your finger needlessly in the fire‹: kümmere dich nicht um ungelegte Eier; französisch ›se brûler les doigts‹; ähnlich auch in Götz von Berlichingens Lebensbeschreibung: »daß ich Sorg hatte, ich schlug die Hand in die Kohlen«.
   Die Redensart umschreibt einen Alltagsvorgang, dessen übertragene Bedeutung ohne Erklärung verständlich ist. Ein Anknüpfen an die mittelalterlichen Gottesgerichte, in denen meistens sogenannte Feuerproben verwendet wurden, ist deshalb nicht notwendig. Ebenfalls keiner Erklärung bedarf die jüngere Wendung sich in den Finger schneiden: sich selbst schaden, sich verrechnen, vergleichbar dem Schweizerischen ›Oha, jitz het er sech der lätz Finger verbunde‹: jetzt hat er sich getäuscht, etwas falsch gemacht. Die aus dem Holsteinischen bezeugte ironische Aufforderung, ›snied he sick nig in de Finger‹, stellt nur eine Mahnung dar für zu stark auf ihren Vorteil bedachte (Wurstverkäufer und andere) Händler.
   Auf jemanden mit Fingern zeigen: auf einen, der sich unrühmlich ausgezeichnet hat, der von den Menschen verspottet und verachtet wird, öffentlich hinweisen; gleiche Bedeutung haben französisch ›montrer quelqu'un du doigt‹; niederländisch ›iemand met de vinger nawijzen‹; englisch ›to point or to finger at a person‹. Im Lateinischen dagegen bedeutet die gleiche Wendung ›monstrari digito‹ = allgemein gerühmt werden. In den Satiren des Persius heißt es (I, 28): »At pulchrum est digito monstrari et dici: hic est« = aber schön ist es doch, wenn mit dem Finger auf einen gezeigt und gesagt wird: der ist es!
   Den Finger auf etwas legen, z.B. auf eine Wunde, einen wunden Punkt, eine faule Stelle: das Schlechte, Bedenkliche an einer Sache hervorheben; vgl. englisch ›to put the Finger on the spot‹; französisch ›mettre le doigt sur la plaie‹ (wörtlich: den Finger auf die Wunde legen), aber auch: ›mettre le doigt sur quelque chose‹: jemandes Aufmerksamkeit auf etwas lenken und ihn auf die richtige Spur bringen. Die Wendung geht wohl zurück auf den biblischen Bericht vom ›ungläubigen Thomas‹, der an die Auferstehung Jesu erst glauben wollte, wenn er den Finger in die Wundmale legen könne (Joh 20, 24-27).
   Jemanden um den (kleinen) Finger wickeln können, sich um den kleinen Finger wickeln lassen; diese Redensarten bezeichnen die Nachgiebigkeit und Gefügigkeit eines willenlosen Menschen, den man völlig in seine Gewalt zu bringen vermag, wie man etwa einen Strohhalm oder einen Faden um den Finger wickelt.
   Keinen Finger rühren nach etwas; vgl. französisch ›ne pas remuer le petit doigt‹; keinen Finger krumm machen: faul und träge sein, kein Interesse an der Sache haben.
   Im Obersächsischen heißt es: Dem Müßiggänger ›sind die Finger beim Arbeiten im Wege‹; im Gegensatz dazu: sich alle Finger krumm arbeiten: fleißig sein; ähnlich sich die Finger wundschreiben; bzw. ›die Haut von den Fingern (arbeiten)‹; schweizerisch ›es louft ihm nume so us de Finger‹: er schafft tüchtig.
   Sich mit dem kleinen Finger auf dem Kopf kratzen: sich geziert benehmen; vgl. französisch ›se gratter la tête‹: sich verlegen am Kopf kratzen.
   Etwas nur mit Fingerspitzen (mit spitzen Fingern) anfassen: vorsichtig sein, sich davor ekeln; vgl. französisch ›prendre quelque chose du bout des doigts‹.
   Etwas in den Fingerspitzen haben: gute Kenntnisse besitzen; bis in die Fingerspitzen konsequent: nämlich ganz und gar, z.B. musikalisch oder mißtrauisch-ängstlich. Man kann auch bis in die Fingerspitzen erschrecken. So manchem ›Kribbelt es (ordentlich) in den Fingerspitzen‹: ein Zeichen der (Nervosität oder) Ungeduld; ähnlich jemanden juckt es in den Fingern, d.h. er spürt den unwiderstehlichen Drang, seinem Zorn oder Unmut handgreiflich Luft zu verschaffen.
   Man macht sich selbst unglücklich, wenn man nicht ein gewisses Fingerspitzengefühl besitzt: Takt, (vornehme) Zurückhaltung beweist; oder: das muß man in den Fingerspitzen haben: dem Nächsten gegenüber Feingefühl zeigen.
   Die Finger von etwas lassen: sich nicht damit abgeben, mundartlich besonders in der Form (laß die) Finger von der Butter und (bleib) mit die Finger von die Dinger, auch mit dem Zusatz ›Die haben Geld gekostet‹.
   Hingegen: Er steckt seine Finger in jeden Quark: er befaßt sich (stets, überall) mit Dingen, die ihn (eigentlich) gar nichts angehen. Reicht die Einmischung zu weit, dann ist er töricht genug gewesen, ›Seine Finger zwischen Tür und Angel (Hammer und Amboß) [zu] stecken‹; französisch: ›mettre le doigt entre l'arbre et l'écorce‹ und ›mettre le doigt entre l'enclume et le marteau‹: bedeutet, sich in unangenehme Händel einlassen, in der Klemme sitzen.
   Er hat seine schmutzigen Finger hineingesteckt: sich auf unehrliche Weise an einem Unternehmen beteiligt; englisch ›to have a finger in the pie‹: »No man's pie is freed from his ambitious finger«; (Shakespeare, ›Henry VIII‹, I, 1). Ein solches Verhalten trifft in etwa die schweizerische Redensart ›Si hei d Finger i allem inn‹: sind überall einflußreich.
   Der bricht noch den Finger im Arsch ab und der bricht noch den Finger in der Nase sagt man von einem, der ganz besonderes Mißgeschick hat, sich aber auch besonders ungeschickt benimmt.
   Der beißt sich eher den Finger ab, ehe er etwas gibt heißt es von einem Geizigen.
   Sich die Finger vergolden lassen können: sehr reich, aber auch sehr geizig sein; im Spiel: keine brauchbaren Karten herausgeben.
   Sich goldene Fingernägel machen lassen: auf Kosten anderer lukrative Geschäfte betreiben.
   Die Reihe der stehenden Vergleiche läßt sich beliebig fortsetzen. Die Finger helfen einander (unauflöslich), folglich: zwei Freunde ›Sind wie die Finger einer Hand‹: ein Herz und eine Seele; französisch: ›être (comme) les (deux) doigts de la main‹ und ›être unis comme les doigts (de la main)‹: eng verbunden sein; englisch ›they are finger and thumb‹: stehen miteinander auf vertrautem Fuß.
   Obersächsisch ›daar is, wie der Finger in Hunigtopp‹: so schnell bereit; auch aus dem Küchenbereich geholt, aber mit anderem Sinngehalt, die Schweizer Redensart ›si hei d Finger im Hunghafe (Honigtopf)‹: im Uberfluß leben.
   Seines Sieges sicher erscheint in der Gesellschaft, wer nur den kleinen Finger auszustrecken braucht, (um etwas zu erreichen) oder an jedem Finger zehn bekommen kann: über einmalig gute Aussichten beim anderen Geschlecht verfügt.
   Auf die Verwandtschaft der Finger mit tierischen ›Greiforganen‹ verweisen folgende Wendungen Dem möchte ich nicht in die Finger (Krallen) geraten: vor dem kann man sich fürchten; jemanden in die Finger kriegen: seiner habhaft werden; jemandem zwischen die Finger kommen: in seine Gewalt geraten und dadurch Schaden erleiden. Bisweilen ist man so glücklich, dem Verfolger durch die Finger zu schlüpfen.
   In der Regel wird der glückliche Eigentümer, was er hat, nicht aus den Fingern lassen; schweizerisch ›was dä einisch i de Finger het, lat he nümm druus‹: er ist habgierig oder ehrgeizig, eher dürfte er bestrebt sein, noch mehr Schätze ›Mit allen zehn Fingern herbei(zu)ziehen‹.
   Eine nicht zu übersehende Rolle spielt der Finger in der Gebärdensprache. Den Finger auf den Mund legen: schweigen oder Schweigen gebieten.
   Schon in früher Zeit war der zweite Finger der rechten Hand das gegenständliche Mittel Einen Fingerzeig (zu) geben: einen Hinweis (Warnung, Wink), später auch eine Drohung höherer Mächte (des Schicksals, des Himmels).
   Die Finger nach etwas ausstrecken: irgendein Gut in Besitz nehmen wollen; Die Finger aufheben: vor Gericht schwören oder ein feierliches Gelübde ablegen, auch eine Versicherung abgeben, z.B. ›Lieber lasse ich mir einen Finger abhacken, als ...‹ (das Geheimnis zu verraten).
   Seelischen Schmerz spiegelt die Wendung ›Ich gäbe meinen kleinen Finger drum‹ (wenn das nicht geschehen wäre), vielleicht auch: ›Einen (Verstorbenen) mit den Fingern aus der Erde graben wollen‹; französisch: ›se mordre les doigts de quelque chose‹: etwas bereuen.
   Etwas mit den Fingern anrühren: fast am Ziel seiner Mühe angelangt sein; französisch: ›toucher a quelque chose du bout du doigt‹. Seit der Mitte des 19. Jahrhundert ist die Redensart bekannt: den Finger auf dem richtigen Loch haben: vernünftig handeln, das Richtige getroffen haben; vielleicht den Regeln des Flötenspiels entlehnt: wer den richtigen Finger auf das richtige Loch setzt, bläst korrekt.
   Obersächsisch ›den Finger druff haben‹: große Klugheit beweisen. Etwas anderes ist es, sich nicht gern die Finger schmutzig machen: sich einer unangenehmen, unbequemen Beschäftigung entziehen, sich nicht in fragwürdige Machenschaften, Verbrechen verwickeln lassen.
   Noch die deutsche Gegenwartssprache kennt den Begriff ›Einen Fingerhut voll‹: sehr wenig. Bestenfalls faßt das Gefäß einige Tropfen; und beißender Hohn liegt in den Worten: »Dein Fingerhut voll Gehirn« (Schiller, ›Räuber‹ I, 2). Älter erscheint die Maßbezeichnung ›Die Breite eines Fingers‹. Spätestens das beginnende 17. Jahrhundert kannte die Wendung ›nicht eines fingers brait‹. Bekannt ist sie noch heute durch Höltys volkstümliches Lied:
   Üb immer Treu und Redlichkeit
   bis an dein kühles Grab
   und weiche keinen Finger breit
   von Gottes Wegen ab.
• WANDER I, Spalte 1020ff.; W. GRIMM: Über die Bedeutung der deutschen Fingernamen, in: Kleinere Schriften III (Berlin 1883), S. 428ff.; A. RISSE: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 31 (Leipzig 1917), S. 362; H. BÄCHTOLD-STÄUBLI: Artikel ›Finger‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens II, Spalte 1478-96; A. WESSELSKI: Der säugende Finger, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 144-150; H. MANGIN: Die Hand, ein Sinnbild des Menschen (Zürich 1952); L. RÖHRICH: Sprichwörtliche Redensarten aus Volkserzählungen, in: Volk, Sprache, Dichtung. Festgabe für K. Wagner (Gießen 1960), S. 272f.; DERS.: Gebärde – Metapher – Parodie (Düsseldorf 1967); J.R. KLIMA: Artikel ›Finger‹, in: Enzyklopädie des Märchens IV, Spalte 1140-1146.}
Durch die Finger sehen. Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, zum Kapitel ›Von eebruch‹.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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  • Finger — Fin ger (f[i^][ng] g[ e]r), n. [AS. finger; akin to D. vinger, OS. & OHG. fingar, G. finger, Icel. fingr, Sw. & Dan. finger, Goth. figgrs; of unknown origin; perh. akin to E. fang.] 1. One of the five terminating members of the hand; a digit; esp …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Finger — Название: Finger Уровень (по модели OSI): Прикладной Семейство: TCP/IP Порт/ID: 79/TCP Назначение протокола: Предоставление интерфейса для получения данных о пользователях удаленного компьютера Спецификация …   Википедия

  • finger — ► NOUN 1) each of the four slender jointed parts attached to either hand (or five, if the thumb is included). 2) a measure of liquor in a glass, based on the breadth of a finger. 3) an object with the long, narrow shape of a finger. ► VERB 1)… …   English terms dictionary

  • finger — [fiŋ′gər] n. [ME < OE, akin to Ger finger, Goth figgrs, prob. < IE base * penkwe, FIVE] 1. any of the five jointed parts projecting from the palm of the hand; esp., any of these other than the thumb 2. the part of a glove that covers one of …   English World dictionary

  • Finger — Finger: Die gemeingerm. Körperteilbezeichnung mhd. vinger, ahd. fingar, got. figgrs, engl. finger, schwed. finger gehört – wie auch das unter ↑ Faust dargestellte Substantiv – zu dem unter ↑ fünf behandelten Zahlwort und bezeichnete demnach… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Finger — Saltar a navegación, búsqueda Para el uso aeroportuario del término, véase Pasarela de acceso a aeronaves. El servicio finger (puerto 79, TCP) es un protocolo que proporciona información de los usuarios de una máquina, estén o no conectados en el …   Wikipedia Español

  • Finger — Sm std. (8. Jh.), mhd. vinger, ahd. fingar Stammwort. Aus g. * fengra (oder * fingra ) m. Finger , auch in gt. figgrs, anord. fingr m./n., ae. finger. Das Wort wird zu dem Zahlwort fünf gestellt, was formal möglich wäre, semantisch aber nicht… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • finger — [n] appendage of hand antenna*, claw, digit, extremity, feeler*, hook*, pinky*, pointer*, ring finger, tactile member, tentacle*, thumb; concept 392 finger [v1] touch lightly feel, fiddle, grope, handle, manipulate, maul, meddle, palpate, paw,… …   New thesaurus

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  • Finger — [Basiswortschatz (Rating 1 1500)] Bsp.: • Ich habe mir den Finger verbrannt. • Meine Finger sind kalt …   Deutsch Wörterbuch

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