Fisch

Fisch
Stumm wie ein Fisch ist seit den alten Ägyptern fast bei allen Kulturvölkern ein sprichwörtliches Bild für die Schweigsamkeit. Bei Erasmus von Rotterdam in den ›Adagia‹ ist der Vergleich noch gesteigert: »Magis mutus quam pisces« = stummer als die Fische. Vgl. französisch ›muet comme une carpe‹ (Karpfen). Das sprichwörtliche Bild beruht auf der Unfähigkeit des menschlichen Gehörs, unter Wasser Geräusche wahrzunehmen. Menschen hören durch Luftschall, Fische durch Schwingungen des Wassers. Nur wenige besonders starke ›Krakeler‹ wie den Knurrhahn kann der Mensch hören. Doch ist kaum einer der zahllosen Fische wirklich ›stumm‹ (Dröscher). Wenn sich der Fisch im Wasser tummelt, sich ›in seinem Element‹ bewegt, ist er ein Bild frischen, gesunden Lebens, daher der redensartliche Vergleich gesund wie ein Fisch im Wasser, vielfach auch munter (frei, lebendig) wie ein Fisch im Wasser, vgl. französisch ›hereux comme un poisson dans l'eau‹ (wörtlich: glücklich wie ein Fisch im Wasser): restlos glücklich; seltener im Gegenteil: ›Em es tomod (zu Mute) wie em Fisch op em Land‹. Schon im 13. Jahrhundert heißt es im ›Trojanerkrieg‹ Konrads von Würzburg (V.10808):
   er wart gesunt reht als ein visch,
   der vert in einem wâge
   (= der sich in den Wogen bewegt).
In Fischarts ›Flöhhatz‹ ist 1577 belegt:
   Ich ward dabei so gsund und frisch
   Als in kaim Wasser ist kein fisch.
In Schillers ›Räubern‹ (I, 1) fragt Franz: »Ist Euch wirklich ganz wohl, mein Vater?« Der alte Moor: »Wie dem Fisch im Wasser!« Auch die lockenden Worte der Nixe in Goethes Ballade ›Der Fischer‹ umschreiben das Bild:
   Ach, wüßtest du, wie's Fischlein ist
   So wohlig auf dem Grund,
   Du stiegst herunter, wie du bist,
   Und würdest erst gesund.
Das Sprichwort Die großen Fische fressen die kleinen: die Mächtigen, Reichen leben auf Kosten der Unterdrückten und Armen, ist häufig bildlich dargestellt worden.
   Für jede Form von Rivalität, Konkurrenz, Machtkampf, Krieg und schlechthin für die Ungerechtigkeit der Weltläufe, Egoismus der Großen etc. hat die politische Karikatur das Sprachbild von den großen und den kleinen Fischen parat. Immer geht es um die Illustration eines Unrechts-Sprichworts: ›Wer die Macht hat, hat das Recht‹. Negative Kausalitäten wie die Relation von Preisen und Löhnen, oder von Inflation und Abwertung werden in diesem Bild gesehen. Die stärkere Währung macht die schwächere kaputt. Aber auch jede Form von industrieller Konkurrenz kann so gesehen werden: Die europäische Automobilindustrie wird von der amerikanischen geschluckt, und diese wiederum wird von den Japanern aufgefressen. Die Kapitalisten und ›big bosse‹ sind die ›Haie‹, die ihre Machtgelüste an den ›kleinen Fischen‹ auslassen. Der Mächtige und Reiche unterdrückt – bildlich ›verschluckt‹ – den Schwachen und Armen. Es handelt sich um ein internationales Sprichwort: englisch ›The great fish eat up the small‹; französisch ›Les gros poissons mangent les petits‹; italienisch ›I Pesci grossi mangiano i piccini‹.
   Schon in lateinischen Sprichwortsammlungen kommen ähnliche Bilder vor. Ein Bild aus Peter Isselburgs ›Emblemata Politica‹ von 1617 kennt das lateinische Motto: ›Minor esca maioris‹ (Der Kleinere ist das Futter des Größeren). Später haben Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel das Thema aufgegriffen. Auf ihrem Bild wird die damalige aktuelle politische Situation der Niederlande dargestellt. Im Unterschied zu den modernen Illustrationen, bei denen immer das Recht des Stärkeren siegreich bleibt, behauptet die Überschrift des Bruegelblattes, daß das Recht der Stärke widerstehen könnte. Außerdem wird der große Fisch unübersehbar mit dem ›Messer der Gerechtigkeit‹ aufgeschlitzt. Aber natürlich hat auch die moderne Illustration versucht, Auswege aus der Zwangsläufigkeit der Machtspirale zu finden, die im Bereich heutiger politischer Möglichkeiten liegen. Es ist vielleicht nicht zufällig die Illustration eines Schweizer Cartoonisten, der im vorgegebenen Sprachbild zeigt, was die Solidarisierung der Kleinen zu bewirken vermag: Einigkeit macht so stark, daß der große Fisch angesichts dieser geschlossenen Phalanx die Kiemen nicht mehr auseinander kriegt und das Maul hält. Die Kausalität läßt sich also sogar regelrecht umkehren: ›Viele kleine Fische fressen den Großen‹.
   Das ist nicht Fisch, nicht Fleisch oder Das ist weder Fisch noch Fleisch: es hat keine Eigenart, ist zweideutig und unklar. Die früheste Form findet sich lateinisch in den ›Adagia‹ des Erasmus von 1534. Dort heißt es: »Neque intus neque foris ... simili figura dicunt hodie neque caro neque piscis, de homine qui sibi vivet, nec ullarum est partium« (= man sagt heute auch von einem Mann, der nur für sich lebt und nirgendwo Partei ergreift: weder Fisch noch Fleisch). 1586 ist die Redensart in Fischarts ›Bienenkorb‹ (85b) belegt: »Sonder ist weder fisch noch fleisch«. In der ›Zimmerischen Chronik‹ (III, 370) wird von einem französischen Orator erzählt: »Der hab ain lange und zierliche lateinische redt gethon, die aber so wunderbarlich und varia gewest, daß der verordneten kainer was gründlichs oder bestendigs dorauß hab künden nemmen und weder fisch oder flaisch, wie man sprücht, gewest«.
   Scherzhafte Anwendung findet die Redensart in einem mecklenburgischen Sagwort: ›Nich Fisch noch Fleisch, säd' de Adebor, donn fratt he ne Pogg‹ (Frosch). In Jeremias Gotthelfs ›Bauernspiegel‹ lautet die Wendung ›Nicht Vogel, nicht Fisch‹, ähnlich auch in der schweizerischen Mundart bezeugt: ›Das ist weder Vogel noch Fisch, weder Halbs noch Ganzes‹. Friedrich Rückert (›An Fischmann und Mannfisch‹) wandelt die Wendung folgendermaßen ab: »Halb Fisch halb Mann ist weder Fisch noch Mann; sei jeder ganz, wozu ist das Gemisch? Hofmönch und Klosterritter mag mir beides nicht behagen«.
   In der Volkssprache des Niederrheins wird die Redensart zu ›weder Fisch noch Frosch‹ entstellt. Mittelhochdeutsch heißt es von einem Unentschiedenen auch: ›Er ist nicht visch unz uf den grat‹, er ist nicht Fisch bis zur Gräte, ähnlich noch im 16. Jahrhundert bei Fischart; vgl. französisch ›Il est ni chair ni poisson‹; englisch ›He is neither fish nor flesh‹; niederländisch ›vis nog vlees zijn‹.
   Die erste englische Notierung ist 1528 datiert: »Wone (one) that is nether flesshe nor fisshe«; eine etwas längere Formulierung 1621: »Neither flesh nor fish nor good red hering«. Um 1700 wurde in England auch häufig die Form ›to make fish of one and flesh of the other‹ gebraucht. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts findet sich in England noch eine dritte Version unserer Redensart: »She is nother fisshe, nor flesshe, nor good red hearyng« (herring); so bei John Heywood 1546. Eine vierte, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommene Version setzt noch das Wort ›fowl‹ hinzu: ›neither fish nor fowl‹. Dies steht nahe auch der bei Jeremias Gotthelf im ›Bauernspiegel‹ 1837 zuerst literarisch bezeugten schweizerischen Redensart sowie der dänischen Form ›hverken fugl eller filsk‹.
   Den Fisch schwimmen lassen: trinken, nachdem man Fisch gegessen hat; in Anlehnung an die seit alters bekannte Lehre, daß Fisch schwimmen will; lateinisch bei Petronius: »pisces natare oportet«. Z.T. auch noch erweitert: ›Der Fisch will schwimmen – der Ochs will saufen‹.
   Faule Fische: verdächtige Sachen, Ausreden oder Lügen; in diesem Sinne schon in Luthers Sprichwörtersammlung (Nr. 104): »Bleib dahymen mit deinen faulen Fischen«. Ebenso auch bei dem Prediger Mathesius: »wer mit renken und faulen fischen umbgehet, der muß doch mit der zeit schande werden«; 1639 bei Lehmann 488 (Lügen 61): »Ein lügner verkaufft faule Fische, hawet vber die Schnur, wirfft das Beil zu weit, da ers nicht kan wieder holen«. In einem poetischen Gespräch über den Nordischen Krieg (1700-09) sagt der König von Dänemark:
   Glaubte Schleswig zu erwischen
   Und noch etwas anders mehr,
   Doch da waren's stinkend Fische,
   So mir gar nicht schmecken sehr.
Die Wendung ist in den heutigen Mundarten noch sehr verbreitet, z.B. schweizerisch ›Es riecht nach faulen Fischen‹, rheinhessisch ›faule Fische in der Brühe‹, schwierige Verhältnisse, rheinisch ›Der hot faule Fisch gefong‹, er versucht, auf unrechtmäßige Weise etwas zu erreichen.
   Faule Fische und stinkende Butter sagt man, wenn sich zwei verbinden, die beide nicht viel taugen.
   Kleine Fische stehen sprichwörtlich für bedeutungslose oder leicht zu bewältigende Dinge; im Volkslied zumeist für die herangereiften jungen Mädchen, Backfisch.
   Die Gleichung junges Mädchen = Fisch (junge Mädchen = kleine Fische) findet sich noch heute in südslawischen Liedern. So heißt es in einem kroatischen Lied:
   ... und die Fischer fischten mich mit Netzen,
   dachten, daß es wohl ein Fischlein wäre,
   und das Fischlein war ich, junges Mädchen.
Noch deutlicher wird der Vergleich in einer slowakischen Mädchenkage:
   Flußauf die Gran, flußab die Gran,
   kleine Fischlein schwimmen heran,
   kleine Fischlein den Fischern zu,
   schöne Mädchen den Burschen zu.
Das sind ungefangene Fische: man braucht noch nicht darüber zu sprechen, ehe die Sache nicht entschieden ist; der Fisch hat angebissen: die List ist gelungen; vgl. französisch ›Il a mordu à l'hameçon‹ (wörtlich: Er hat den Köder angebissen): Er ist hereingefallen.
   Du kriegst Fische: Ohrfeigen; einen kleinen Fisch geben, um einen großen zu bekommen: nicht nur uneigennützige Geschenke geben; er hört die Fische im Wasser singen: er ist eingebildet, tut überklug; er ist wie ein abgestandener Fisch: matt, schwach, elend.
   Fische gegessen haben: unrasiert sein (beruht auf der grotesken Vorstellung, daß beim Fischessen die Gräten durch Kinn und Wangen gedrungen sind); der Fisch ist gegessen: die Sache ist abgeschlossen, erledigt.
   Die Fische füttern: sich auf See erbrechen (eine umschreibend-euphemistische Wendung). Diese beiden Redensarten sind noch ziemlich jung, stumm, Stummer, Wasser.
• W. STIEFMACHER: Der Fisch im deutschen Sprichwort, in: Fischwaid, Zeitschrift für Sportfischerei 7 (Hamburg 1952), S. 26; E. HOFFMANN-KRAYER: Artikel ›Fisch‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens II, Spalte 1528-1546; A. TAYLOR: ›Neither fish nor flesh‹ and its variations, in: Journal of the Folklore Institute 3 (1966), Nr. 1, S. 3-9; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Band IV (Bonn-Bad Godesberg 1978), S. 1293-1315, insbesondere S. 1297ff., 1300-1305; V.B. DROSCHER: Mit den Wölfen heulen (Düsseldorf 1978), S. 81-84; H. SCHEMPF: Kleine Fische, in: L. Carlen (Hrsg.): Forschungen zur Rechtsarchäologie, Band I (Zürich 1978), S. 63-80; E. MOSER-RATH: Artikel ›Den großen Fisch fangen‹ (Aarne-Thompson 1567 C), in: Enzyklopädie des Märchens IV, Spalte 1218-1221; R. SCHENDA: Artikel ›Fisch, Fischen, Fischer‹, in: Enzyklopädie des Märchens IV, Spalte 1196-1211; O.G. SVERRISDÒTTIR: Land in Sicht (Frankfurt/M. 1987), S. 138-142; W. MIEDER: ›Die großen Fische fressen die kleinen‹, Geschichte und Bedeutung eines Sprichworts über die menschliche Natur, in: Muttersprache 98 (1988), S. 1-37; DERS.: History and Interpretation of a Proverb about Human Nature. Big Fish Eat Little Fish, in: Tradition and Innovation in Folk Literature (Hanover [N.H.] – London 1987), S. 178-228.
Die großen Fische fressen die kleinen. Kupferstich nach Pieter Bruegel d.Ä., 1556/57, Bibliothek Ter, Brüssel.
Die großen Fische fressen die kleinen. Killer- und Antikillersatelliten in der Karikatur. Aus: DER SPIEGEL, vom 9.IV.1984.
Die großen Fische fressen die kleinen. Schweizer Cartoon. Aus: W. Mieder: Big Fish Eat Little Fish, S. 227.
Fische fangen (›Sich jemand angeln‹). Holzschnitt von Ludwig Richter, aus: Sprichwörter und Spruchreden der Deutschen, herausgegeben von G.O. Marbach, Leipzig o.J., S. 22.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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