Hahn

Hahn
Hahn im Korbe sein: unter lauter weiblichen Personen der einzige Mann sein; Hauptperson, Liebling sein, viel gelten. ›Korb‹ meint hier entweder den ganzen Hühnerhof oder den Korb, in dem die Hühner zu Markt getragen werden. Man mag auch an die heute noch in romanischen Ländern üblichen Hahnenkämpfe denken, bei denen die Favoriten vorher im Korb dem Publikum gezeigt werden. Die ältere Form der Redensart ist Der beste Hahn im Korbe sein; so bei Hans Sachs und bei Johann Fischart 1579 im ›Bienenkorb‹ (131b) sowie in der Fabelsammlung ›Esopus‹ (III, 28) des Burkard Waldis:
   Es hat ein bürger etlich han
   zusammen in ein korb getan.
In der ›Zimmerischen Chronik‹ (II, 243) steht: »der alwegen hievor vermaint hat, er were an dem ort allain der han im korbe«, und in den ›Facetiae facetiarum‹ von 1645 (S. 46): »qui primas partes apud amicam tenet, appellant Hahn im Korb«; vgl. niederländisch ›hem dunkt, de beste haan in den korf te zijn‹; dänisch ›som vil voere den fornemste hane in kurven‹; französisch ›coq en pâte‹. Deutsch sind noch die Nebenformen ›Hähnchen im Korb‹ und ›Hahn oben im Korb‹ belegt. ›Hahn‹ ist nicht zuletzt vulgärsprachlicher Ausdruck für Penis ( Hahnrei), und da ›Korb‹ (›Husch ins Körbchen‹) vielfach auch das Bett meint, könnte ›Hahn im Korb‹ auch erotisch als der beste Mann im Bett zu verstehen sein. ›Haupthahn‹: bevorzugter Liebhaber; ›Scharfer (toller) Hahn‹: temperamentvoller Mann; ›Den Hahn krähen lassen‹: koitieren. ›So viel verstehen wie der Hahn vom Eierlegen‹: nichts von einer Sache verstehen. ›Den Hahn rechtzeitig zudrehen‹: Coitus interruptus.
   Das Bild vom Korb wird auf das Dorf übertragen in der Redensart ›Er ist Hahn im Dorfe‹; vgl. französisch ›être le coq au village‹ und englisch ›to be cock of the walk‹.
   Hahn sein auf seinem Mist: Herr sein auf seinem – wenn auch noch so kleinen – Besitz. Ähnlich ›Stolz wie ein Hahn auf seinem Mist‹, ›Er ist ein wackerer Hahn auf seinem Mist‹; niederländisch ›hij is een haan, maar op zijn mest‹; ostfriesisch ›elker hân is konink up sîn êgen mesfolt‹. Diese Redensart ist bereits bei Seneca belegt (›De morte Claudii‹): »Gallus in suo sterquilino plurimum potest«. Dem entspricht französisch ›être hardi comme un coq sur son fumier‹ und englisch ›the cock is master on his own dunghill‹.
   Das Bild des fremden Hahns, der in einen Hühnerhof eindringt, bedeutet, auf den menschlichen Bereich angewendet, soviel wie Eingriff in die Privatrechte. In E.W. Happels ›Akademischem Roman‹ von 1690 heißt es: »W. mußte das Gelag bezahlen, weil dieser ein Fremdling, und sich erkühnet hatte, in eines andern Hahns Nest seine Eier zu legen«. In der Bedeutung der verletzten ehelichen Treue wendet Abraham a Sancta Clara das Bild eines fremden Hahnes auf dem Mist an. In diesen Zusammenhang gehören die Redensarten: Es scharrt ein fremder Hahn auf seinem Mist, ›et war 'ne fremde Hahn op de Meß‹, Fremde Hähne auf seinem Mist kratzen sehen (lassen): merken oder zugeben, daß sich andere Eingriffe in seine Privatrechte erlauben. Ebenso: Er kennt den Hahn auf seinem Mist.
   An redensartlichen Vergleichen ist zu nennen: Stolz wie ein Hahn; vgl. französisch ›fier comme un coq‹; rheinisch ›Da jeit (stolzeet) wi ne Hahn‹; schleswig- holsteinisch ›He is so krötig as en Hahn un en Snieder‹, ›su frech wie nen jungen Hahn‹; bairisch ›dahersteign wia da' Gogkl in'n Werhh‹, ›wiera Ha' in der Balz‹.
   Ein Hahn, ›hane‹, bedeutete um 1500 in übertragenem Sinne auch einen ›kühnen und kecken Kerl‹, so bei Geiler von Kaysersberg (›Brösamlin‹) und in Thomas Murners Schrift ›Von dem großen lutherischen Narren‹ (1522).
   Entsprechend den kämpferischen Eigenschaften des Hahns werden für kräftiges mannhaftes Auftreten folgende Redensarten gebraucht: Er ist ein Hahn mit doppeltem Kamm: er ist heftig, draufgängerisch, zornig, und Er ist ein Hahn mit Kamm und Sporen, entsprechend niederländisch ›Het is een haan met een dubbelen kam‹ und ›Het is een haan met kam en sporen‹. Von zwei streitenden Menschen sagt man Die gehen aufeinander wie zwei junge Hähne. Aber man sagt auch, daß jemand dasteht Wie ein betrübter Hahn oder Wie ein nasser oder begossener Hahn, wobei die letzte Redensart in den Kreis der Redensarten um nasse Tiere gehört, vgl. ›Naß wie eine Katze‹, ›Wie ein Pudel‹, ›Wie ein Mops, dem es ins Gesicht regnet‹.
   Die Redensart ›Rot wie ein Zinshahn‹ meint nicht die Farbe des Gefieders, sondern bewahrt noch die Erinnerung an die Zeit der Naturalwirtschaft: der Gutsherr achtete darauf, daß Kamm und Lappen des als Abgabe dargebrachten Hahnes zum Zeichen der Gesundheit gut durchblutet und lebhaft rot sind.
   Du bist wohl vom Hahn betrampelt: du bist wohl nicht recht bei Verstand (etwa seit 1900 aufgekommen).
   Daß dich der Hahn hacke!: Drohung, besonders gegen Kinder; ›ich denke, mich soll der Hahn hacken!‹, Ausruf des Erstaunens (obersächsisch). Die Widernatürlichkeit, daß ein Hahn Eier legt, nehmen eine Reihe von Redensarten zum Anlaß, etwas Unmögliches oder Absurdes auszudrücken: Wenn der Hahn Eier legt: niemals; vgl. französisch ›Ce jour-là les coqs ponderont des œufs‹.
   Wenn etwas verkehrt gegangen ist, sagt man schleswig-holsteinisch ›dor hett de Hahn en Ei leggt‹, und von einem Aufschneider heißt es rheinisch ›dem seine Hahn legt Eier!‹ Sagt aber jemand ›meinetwege kann der Hahn de Eier lege‹, so meint er damit, daß ihm eine Sache sehr gleichgültig ist. Auch niederländisch sind entsprechende Redensarten bekannt.
   Eine Reihe von Redensarten knüpft an das Hahnengeschrei an. Das Krähen des Hahnes ist Anlaß zu Vergleichen wie rheinisch ›Der har e Stemm wie e Hahn, do sollt mer die Hinkel anbenne‹ oder schleswig-holsteinisch ›He quinkelert as en jungen Hahn, de dat Kreihn noch ni lehrt hett‹, er singt schlecht.
   Der aus einem Hahnenkampf hervorgehende Sieger verkündet seinen Triumph durch lautes Krähen. In einigen Redensarten wird dies auch von einem Prahlhans gesagt; rheinisch ›der hät wedder singen Hahn am Krähen‹, ›sein Hahn muß König krähen‹, vgl. niederländisch ›haar haan krait koning‹; französisch ›il chante victoire‹ und englisch ›to cry cock‹. In diesen Zusammenhang gehören auch: Solche Hähne hab ich schon viel krähen hören; Der Hahn kräht mir zu hoch oder einfach Der Hahn hat gekräht; diese letzte Redensart ist schon 1531 bei Carolus Bovill (›Samaroberini vulgarium proverbium‹ I, 85) belegt: »Gallus cantavit«. Von einem, der nachlässig und gleichgültig ist, sagt man Er ist ein Hahn, der nicht kräht. Der hört keinen Hahn mehr krähen ist eine euphemistische Redensart für: er ist tot; rheinisch heißt es von einem, der bald stirbt ›der hert de Hahnen net mih dak (oft) krihen‹, zeitlich.
   Wo ein Dorf ist, krähen auch Hähne. Daher sagt man: ›Die Hahnen krähen, das Dorf ist nicht mehr weit‹; dem entspricht französisch ›revoir le coq de son clocher‹, die Heimat wiedersehen.
   Wo kein Hahn kräht: weit weg von jeder menschlichen Siedlung. Von einem Feld, das zu weit vom Dorf abliegt und daher schlecht bewirtschaftet wird, heißt es rheinisch ›dat Feld huert de Hahn net krihe‹. Sehr weit verbreitet in allen Mundartgebieten ist die Redensart Da (es) kräht kein Hahn (da)nach: darum kümmert sich niemand; die Sache wird kein Aufsehen erregen, weil sie entweder völlig bedeutungslos und ohne Interesse ist oder äußerst heimlich und unbemerkt geschieht. Die Redensart, in der ›danach‹ nicht zeitlich, sondern ursächlich (= deswegen) oder beabsichtigend zu verstehen ist, hat keinen mythologischen Hintergrund (etwa daß der Hahn durch sein Krähen eine Untat angezeigt habe, wie die Kraniche in der Sage von Ibykus); sie bedeutet ursprünglich vielmehr: Ein Hahn auf dem Hühnerhof würde die Sache für so unbedeutend halten, daß er ihretwegen nicht einmal krähen würde. Die Wendung findet sich bereits 1534 bei Luther: »aber da tausend gülden dafür (für den einen gewonnenen) sind verfaulwitzt, da krehet kein han nach«. Hier kommt ein Unrecht oder ein Verlust in Frage. So wird die Redewendung oft bezogen auf geschehenes oder beabsichtigtes Unrecht, das nicht ans Licht kommt, das nicht geahndet wird. Im 16. Jahrhundert heißt es bei Joh. Mathesius: »Wenn er schenket und füllet jeder man die hende (bestechen)... do krehet kein hahn mer nach, ob er schon mit gewalt fert (verfährt)«. Ähnlich im ›Simplicissimus‹ 1684: »Wie? wan dich der gleichen Kerl ermordeten ..., was würde wol für ein haan darnach krähen? Wer würde deinen Tod rächen?«
   Es kann aber auch Sehnsucht nach einem Verlorenen, Melancholie des Verlustes, des Abschieds ausgedrückt werden. Im schwäbischen Volkslied bei Erk im ›Liederhort‹ heißt es: »fragt auch niemand (mich) wie es geht, weil kein Hahn mehr um mich kräht«. Auch das nächste Haustier kümmert sich nicht mehr um den Vergessenen. Dieses Vermissen tritt auch schon deutlich im 16. Jahrhundert hervor: »niemand warnet ihn (den Hagestolz) mit trewen, und wan der hahn tod ist krehet kein henneke nach ihm«; 1561 bei H. Sachs ebenso: »so kreet doch kein han nach mir«.
   Im Märchen ist oft von jemandem die Rede, den man verwünscht »so tief, dasz kein Hahn nach dir kräht«, oder »die so tief versinken, dasz kein hahn mehr danach krähte« (J. Grimm: ›Myth.‹ 904f.). Die Redensart ist auch stabreimend erweitert worden: ›Weder Huhn noch Hahn‹, woraus mißverständlich ›Weder Hund noch Hahn‹ geworden ist, z.B.: ›dar worde weder hunt oder hane na kreien‹ (Oldecop, S. 290), oder ›daa kreit nich Hund or Han na‹, niederdeutsch ›da kreiet weer Hahn (Huhn) noch Häneke nae‹. Aus dem Jahre 1767 für Bremen auch als Ermunterung belegt: ›Daar schall nig Hund nog Haan na kraien‹: das soll oder wird niemand erfahren. Latendorf (Fromann II, 222) bemerkt zu dieser Erweiterung: »Die Ähnlichkeit der Aussprache zwischen Hon (Huhn) und Han (Hahn) hat wohl allein dazu verführt, den Hund, lautlich, an die Stelle des Huhns zu setzen. Jedenfalls wird an den Hund dabei kaum gedacht, wenn man auch überhaupt von solchen Zusammenstellungen wird sagen müssen, daß sie stets mehr dem Sprachgefühle als dem Sprachbewußtsein ihren Ursprung verdanken«. Tatsächlich war die sprachspielerisch-stabreimende Formel ›Hund und Hahn‹ schon im Mittelalter verbreitet, und man meinte damit pars pro toto den gesamten Hausrat. Denn wer sich irgendwo niederließ, nahm Hund und Hahn, die nebst der Katze als ›hûsgeræte‹ galten, als wesentlichen Bestandteil des Haushalts mit (Grimm: Deutsche Rechtsaltertümer II, S. 125f.). Diese Bedeutung bewahrt in Norddeutschland noch die mundartliche Wendung: ›He sorgt för Hund un Haan‹: er achtet auf das Wohl seiner Haustiere.
   Zum Hund gehört aber polar die Katze, daher dann auch z.B. in Kleists ›Hermannschlacht‹ (III, 3) aus dem Jahr 1808 die sinnwidrige Variante: »Danach wird weder Hund noch Katze krähen« und weiter gekürzt bis zu »Danach kräht keine Katze«. Im Niederländischen tritt auf: ›da kraait noch haan noch hen‹ (Harrebomee). Im Schlesischen sagt man ›do kret ke Hon dernoch‹, im Rheinland ›do krahnt kene Hahn no‹ und in der Schweiz ›es chrait kein Guggel dernach‹. Die Redensart wird also in verschiedenen Mundarten sehr häufig gebraucht. Ebenso findet man sie in der Literatur, z.B. 1781 bei Schiller (›Die Räuber‹, 1,2): »Kann man nicht auf den Fall immer ein Pülverchen mit sich führen, das einen so in der Stille über den Acheron fördert, wo kein Hahn danach kräht«.
   Wo kein Hahn kräht (ist), da ist (kräht) die Henne ist ein Rechtssprichwort, das die weibliche Erbfolge meint (vgl. Otto Lehmann, in: Zeitschrift für deutsche Philologie, 70. Bd., S. 178).
   Der Hahn als Morgenkünder und Frühaufsteher veranlaßte folgende Redensarten: Mit dem Hahne munter sein (aufstehen); vgl. französisch ›se lever au chant du coq‹ (wörtlich: beim Krähen des Hahnes aufstehen); Ehe der Hahn kräht: sehr früh. Als es noch keine Uhren gab, diente der Hahn auch als ›Wecker‹ und sein frühmorgendlicher ›Hahnenschrei‹ als Zeitbestimmung: Beim (vor dem, mit dem) ersten Hahnenschrei aufwachen etc.
   Für einen eitlen Menschen, der auf sein Geld nichts gibt und auf seine Rechnung andere frei zehren läßt, gibt es die Redensart Er hängt den gebratenen Hahn heraus. Daneben gibt es noch Den gebratenen Hahn spielen; vgl. niederländisch ›den gebraden haan uithangen‹ und ›den gebraden haan spelen‹. Die deutschen Redensarten vom ›gebratenen Hahn‹ sind nur bei Wander zu finden und wahrscheinlich im lebendigen Sprachgebrauch kaum verbreitet.
   Weitere Redensarten gehen auf alte Bräuche um den Hahn zurück: Einen Hahn ertanzen oder ertanzen wollen oder Er hat seinen Hahn ertanzt (das Beste erreicht) haben ihren Ursprung in dem Hahnentanz, einem alten Kirmesbrauch. In den Fastnachtsspielen aus dem 15. Jahrhundert heißt es: »dorfmaid und baurnknecht / die wollen tanzen umb den han; / und von welhem baursman / das pest wird getun un alls Gefer ... / dem wirt der han gegeben«. Franz von Sickingen sagte: »Ich bin nit der Han, darum man tanzt«.
   Einem den roten Hahn aufs Dach setzen: sein Haus in Brand stecken; Der rote Hahn kräht auf dem Dach: das Gebäude brennt. Auch in England ist die Bezeichnung ›red cock‹ für Feuer bekannt, und französisch sagt man entsprechend ›faire chanter le coq rouge‹. Schon bei Hans Sachs heißt es: »das ich dir und deinen man / auff dein stadl setz ein roten han«, und Fischart schreibt: »der doch zur letzt nur auff dein schewr / ein roten hanen steckt von fewr«. Die Redensart findet sich 1663 bei Schottel (›Teutsche Haubt-Sprache‹, 1116b) in der Form: »Den roten Hahnen zum Gibel ausjagen«. In einer Breslauer Handschrift vom Jahre 1560 lautet die Redewendung: »das her im einen rotten hann aufsetzen wolde«.
   Nach F. Kluge (›Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins‹ [1901], Spalte 8) rührt die Redensart von einem Gaunerzinken (Gaunerzeichen) her, einem mit Rötel gezeichneten Hahn, der Brandstiftung bedeutet habe. Dieser Erklärung widerspricht F. Seiler (›Deutsche Sprichwörterkunde‹, S. 245), weil die Gauner eine beabsichtigte Brandstiftung doch nicht vorher kundgetan haben würden; außerdem werde das ›aufs Dach‹ nicht erklärt. Aber in den Breslauer Malefizbüchern, so hat G. Schoppe festgestellt, wird oft berichtet, wie Fehde- und Absagebriefe, um ihnen mehr Nachdruck zu geben und die Bedrohten zu ängstigen, mit einschüchternden Zeichen versehen worden sind. So malte man auf ihnen Besen, Armbrüste, Schwerter ab. Und dies scheint wieder die Annahme Kluges zu stützen. Hierzu paßt auch sehr wohl folgende Vorstellung: Der Hahn kräht in der Frühe und kündet den Tag an; deshalb ist er ein altes Sinnbild des anbrechenden Lichtes, der auflodernden Flamme; besonders der rote Hahn bedeutet das flackernde Feuer. Schon in der altnordischen Göttersage spielt ein roter Hahn diese Rolle, er heißt Fjalar und verkündigt mit seinem Krähen das Anbrechen der Götterdämmerung (Völuspá, Strophe 29f.).
   H. Pröhle gibt in seiner Sammlung ›Deutscher Sagen‹ eine Würzburger Überlieferung wieder: »In der Dominikanergasse in Würzburg steht ein Haus, das den Namen ›Zum roten Hahn‹ führt. Auf das Dach dieses Hauses wurde von den Leuten des Wilhelm von Grumbach nach dessen Überrumpelung der Stadt Würzburg ein roter Hahn gesetzt und das Haus angezündet. Der rote Hahn krähte und flog von einem Dach zum andern; das Feuer verbreitete sich weiter auf andere Häuser; nach seiner Wiedererbauung erhielt dieses Haus den Namen ›Zum roten Hahn‹«. In dieser Erzählung gehen bildlicher und wörtlicher Bericht nebeneinander her. Ein am ganzen Mittelrhein bekanntes Gasthaus ›Zum roten Hahn‹ liegt in dem bekannten Wallfahrtsort Arenberg, in der Nähe von Koblenz.
   Wenig Wahrscheinlichkeit hat die von Eduard Stemplinger (›Neue Jahrbücher‹ [1918] 2, S. 85f.)
vorgebrachte Deutung der Redensart. Er leitet die Vorstellung vom roten Hahn aus dem Altertum ab: die Germanen hätten den Hahn, wie einst die Griechen, als Abwehrer von Feuers- und Blitzgefahr auf Dächer und Kirchen gesetzt. Dann wäre der rote Hahn in sein Gegenteil verkehrt und aus dem Abwehrmittel gegen die Flamme die Flamme selbst geworden.
   Gegenüber diesen Erklärungsversuchen bietet sich auch noch ein anderer Aspekt an. Neben dem Niederbrennen als kriegerische Maßnahme oder als spontane Haßäußerung war die sog. Brandwüstung als ›Totalwüstung‹ ein mittelalterliches Rechtsinstrument gegen Friedlose, deren Haus und Habe zerstört wurden. Da die Häuser früher mit dem leicht entflammbaren Stroh oder Schilf gedeckt waren, ist es naheliegend, daß man dabei kurzerhand brennende Fackeln ›aufs Dach‹ warf, ›steckte‹ oder ›setzte‹. Der ›rote Hahn‹ wäre dann eine auf Bildähnlichkeit beruhende euphemistische Umschreibung des wegen der häufigen Brände besonders gefürchteten Feuers. Wohl wegen der Brandgefahr wählte man später anstelle des Niederbrennens das arbeitsaufwendigere, aber ungefährlichere Niederreißen (vgl. auch Dach).
• E. FEHRLE: Der Hahn im Aberglauben, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 16 (1912), S. 65-75; K. KNORTZ: Die Vögel in Geschichte, Sage, Brauch und Literatur (München 1913), S. 179ff.; W. WIDMER: Volkstümliche Vergleiche im Französischen nach dem Typus ›rouge comme un coq‹ (Diss. Basel 1929), S. 40-44; H. GÜNTERT: Artikel ›Hahn‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens III, Spalte 1325-1336; C. MENGIS: Artikel ›rot‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VII, Spalte 792-834; S. KILLERMANN: Hahn und Henne im Neuen Testament, in: Theologisch- praktische Quartalschrift 94 (Linz 1941), S. 285-290; Deutsches Rechtswörterbuch IV, Spalte 1432; L. KRETZENBACHER: Der Hahn auf dem Kirchturm. Sinnzeichen, Bibelexegese und Legende, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 9 (1958), S. 194ff.; L. RUDOLPH: Stufen des Symbolverstehens auf Grund einer volkskundlichen Untersuchung in Berlin über drei Symbolformen (Christophorus, Hahn, Johanniterkreuz) (Berlin 1959); TH. BÜHLER: Wüstung und Fehde, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 66 (1970), S. 1-27; FR. W. WEITERSHAUS: ›Hahn‹, in: Der Sprachdienst 30 (1986), S. 119-120; J. LEIBBRAND: Speculum Bestialitatis (Diss. Freiburg 1986, München 1989); E. und L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben (Wiesbaden 1989), S. 422-453; K. RODIN: Artikel ›Hahn, Huhn‹, in: Enzyklopädie des Märchens VI, Spalte 370-376.
Hahn im Korb. Graphik von U. Koch, Ausstellung im Brunnenburg-Museum, Dorf Tirol bei Meran.
Hahn auf seinem Mist. Detail aus ›Bilder mit Versen‹, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 2, 816, aus: S. und K., S. 106.
Stolz wie ein Hahn. Grandville: G.W., Bd. 2, S. 825.
Hahnenkampf. Illustration von William Hogarth (1697 bis 1764).
Hahnenkampf. Detail aus einem Gemälde von J.-L. Gérôme: The Cock Fight, 1847. Aus: Geraldine Norman: Nineteenth-Century Painters and Painting: a Dictionary, London 1977, Umschlagfoto.
Hahnenkampf. Miniatur: Hähne ohne verstärkte Sporen, Chantilly, Musée Condé /Giraudon, Paris. Aus: Robert Delort: Le Moyen Age, Lausanne 1972, S. 164.
Aufeinandergehen wie zwei junge Hähne. Grandville: G.W., Bd. 1, S. 398.
Wenn der Hahn Eier legt. Holzschnitt aus der Jobsiade.
Beim ersten Hahnenschrei. ›The Cock crows in the morn‹ from Harris's ›Little Rhymes for Little Folks‹, ca. 1812, Opie collection. Aus: Iona and Peter Opie (edd.): The Oxford Dictionary of Nur-
   sery Rhymes, Repr. Oxford 1952, Plate VI, b.
Einen Hahnen ertanzen. Der Hahnentanz in der Baar 1825, Kupferstich von Nilson nach einer Zeichnung von J.G. Vollmar.
Turm- oder Wetterhahn. Mörikes Turmhahn von Cleversulzbach, Original im Schiller-Nationalmuseum, Marbach a.N..

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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