Hagestolz

Hagestolz
Er ist ein alter Hagestolz: ein unverbesserlicher Junggeselle; er will nicht heiraten. Lange Zeit wurde der zweite Teil des Wortes an ›stolz‹ = superbus angelehnt, wodurch sich die Etymologie ›Einer, der auf seinen Hag stolz ist‹ ergab. Im Althochdeutschen jedoch heißt das Wort ›hagastalt‹ und ›hagustalt‹, dessen letzter Teil sich in dem gotischen Adjektiv ›gastald-s‹ wiederfindet, was soviel wie der ›Stellung Habende, der über eine Sache Gesetzte‹ bedeutet. ›Hagastalt‹ ist also der, der einem Hag vorsteht, ihn besitzt. Der Hag aber ist im Gegensatz zu dem Herrenhof ein kleines umfriedetes Stück Land, das dem jüngeren Sohn im alten deutschen Erbrecht zufiel und das erst noch urbar gemacht werden mußte. Der älteste Sohn erhielt das Hauptgut des väterlichen Eigentums, den Herrenhof, und mit ihm die väterliche Macht und die Hofgerechtsame. Da das Nebengut im allgemeinen zu klein war, um darauf einen Hausstand zu gründen, und da außerdem der älteste Bruder die Vormundschaft über den jüngeren hatte, mußte der Hagbesitzer oft unverheiratet bleiben. Diese alten Rechtsverhältnisse haben bis in jüngere Zeit nachgewirkt; so konnte es in Westfalen geschehen, daß noch im vergangenen Jahrhundert der jüngere Bruder der Dienstbote des älteren war, da sein Hag, die ›Hagestolle‹, zu klein war, um ihn zu ernähren. Diese rechtlichen Anschauungen sind auch der Grund dafür, daß in einem Teil Schwabens die unehelichen Söhne ›Hagestölze‹ genannt werden.
   Obwohl der Begriff ›Hagestolz‹ ursprünglich nur für die finanziell schlechter gestellten Söhne galt, für die ›Nichtshabenden‹, die sich keine Frau leisten konnten, wurde er später zur Bezeichnung für Ehelose allgemein. Das geht aus zahlreichen bereits mittelalterlichen literarischen Zeugnissen hervor. So heißt es z.B. (in Weistum 1, 33, S. 366): »ein hagestolz, ein getling (Bursche), der âne wip ist und ân ê«; und an anderer Stelle (S. 377): »ain hagestolz kneht oder jungfrowe, die gesundert gut hänt« (Weisthümer, 3 Teile [Göttingen 1840-42]).
   In der Gesetzgebung nahmen die Hagestolze (die heutigen Junggesellen) schon in der Antike eine Sonderstellung ein. So forderte z.B. Plato – selbst ein Junggeselle – in seinen Büchern von den Gesetzen eine Bestrafung des Mannes, der fünfunddreißig Jahre geworden sei, ohne zu heiraten. Auch hatte er daran gedacht, daß jeder Hagestolz den Unterhalt für eine Frau in die Staatskasse bezahlen solle. Noch heutzutage müssen Unverheiratete höhere Steuerabgaben entrichten.
   Im Neuhochdeutschen bezeichnet das Wort einen Mann, der über das gewöhnliche Alter hinaus ledig geblieben ist, wobei die Bestimmungen des Alters, in dem ein Mann zu einem Hagestolz wird, zwischen 25 und 60 Jahren schwanken: »wo oldt dat ein recht hoffe stolte in rechte sin schall, darup gefunden: ein hoffestolte schall olt sin 50 jahr drei mante 3 tage« (Chr. G. Haltaus: ›Glossarium germanicum medii aevi‹ [1758], S. 779 – aus Celle v. 1570). In anderen Gegenden tritt das Hagestolzenalter viel früher ein: »Hagestölze heiszen im Odenwald die so 25 jahr alt und nicht heirathen wollen, da sie könnten« (J.L. Frisch: ›Teutsch-Lateinisches Wörterbuch‹ [1741], 1,394).
   In der neueren Sprache verbindet sich mit Hagestolz ausschließlich die Vorstellung von einem älteren, unverheirateten Mann, wie ihn z.B.E.T.A. Hoffmann (4, 45) charakterisiert: »ein alter Hagestolz, alle Gebrechen seines Standes in sich tragend, geizig, eitel, den Jüngling spielend, verliebt, geckenhaft«.
   Hagestolzenkram, Hagestolzenwirtschaft bezeichnet ein großes Durcheinander, wo die ordnende Hand einer Frau fehlt.
• O. SCHRADER: Die Schwiegermutter und der Hagestolz (Braunschweig 1904), S. 62, 76-77; F. SARASIN: Die Anschauungen der Völker über Ehe und Junggesellentum, in: Schweizerisches Archiv 33 (1934); B. KUMMER: Artikel ›ledig‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens V, Spalte 1003-1012; M. GRAF KORFF SCHMISING: Artikel ›Hagestolz‹, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte I, Spalte 1909-1911.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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