Schelm

Schelm
Du sollst mich einen Schelm heißen, wenn ich das nicht tue. Diese Beteuerungsformel ist ein Rest der mittelalterlichen Sitte, treubrüchigen, meineidigen Leuten ehrenrührige Scheltbriefe zu senden oder öffentlich anschlagen zu lassen. Die Schelmenschelte war im älteren deutschen Recht eine Klausel in Schuldurkunden, wonach der Gläubiger befugt sein sollte, den säumigen Schuldner in Wort und Bild einen Schelmen zu schelten und durch Karikaturen verächtlich zu machen. Abgeschlossene Verträge enthielten häufig den Zusatz, daß den etwa wortbrüchigen Teil ein solches Schelten treffen solle: »Er hat bei zwaien jaren dem churfürsten bei Rhein, pfalzgraf Ludwigen, bei der handt und bei Schelmen schelten verheiszen, er wollt noch vier jar leben« (›Zimmerische Chronik‹ I, 345). Die alte Bedeutung dieses gerichtlichen Scheltens hat sich noch in den Ausdrücken ›Bescholten‹ und ›Unbescholten‹ erhalten.
   Die Grundbedeutung. des Wortes Schelm ist im Deutschen: Aas, gefallenes Tier (das finnische Wort ›kalme‹ = Tod, Grab scheint in ältester Zeit aus germanisch *skalmj-an entlehnt zu sein). Belegt sind althochdeutsch scalmo (bzw. skelmo) und mittelhochdeutsch schalme (bzw. schelme) = toter Körper von Vieh und Mensch: ›sîn pêrd tom schelm maken lâten‹, es abstechen lassen (Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs, 1770). In Jörg Wickrams ›Rollwagenbüchlein‹ findet sich auch die Geschichte ›Von zweien Roßtauschern, die Schelmen tauschten‹. Zahlreiche Flurnamen (Schelmenmatte, -acker, -halde) weisen auf Spuren früherer Begräbnisstätten hin. Der Schinder, der dem gefallenen Vieh die Haut abzog, und der Henker, der oft zugleich das Amt des Schinders oder Abdeckers ausübte, wurden ›Schelmen‹ genannt. Daher stammt auch die Sage vom Adelsgeschlecht der Schelme von Bergen: »Und weil du ein Schelm (= Henker), so nenne dich Herr Schelm von Bergen künftig« (H. Heine).
   Uralt daneben ist die Bedeutung ›Seuche‹: »Die saw ist mir am schelm gestorben« (Hans Sachs, Fastnachtspiele, 1554). Die ›Chronik der Stadt Straßburg‹ berichtet: »Dô kam ouch ein gemeiner Schelme und ein sterben under die lüte« (Deutsche Städtechroniken 8, 120), und im ›Brünner Stadtrecht‹ (S. 246) heißt es: »si pecus ex pestilentia, quod vulgariter schelm dicitur, moriatur, tunc cutem demonstrando liber erit«. Noch heute gibt es in Niederoesterreich den Ausdruck Schelm für eine bestimmte Schweinekrankheit. Ohne verächtliche Nebenbedeutung. wurde unser Wort manchmal für den Leichnam eines Menschen gebraucht: »sie verpranten die schelmen« (= die im Kampf gefallenen Soldaten) heißt es in einer Münchner Handschrift des 15. Jahrhunderts.
   Da die verächtliche Bedeutung vorherrschte, wurde ein Schimpfwort daraus: »ir schalm und gebûr« (Lassberg, Liedersaal I, 198). Das kräftige Schimpfwort ›Du Schelm und Filzlaus!‹ stammt aus Schwaben. Richard Wagner läßt die kühnen Recken und Helden in seinen Musikdramen häufilg stabreimend auf Schelm schimpfen, wie es z.B. Alberich in ›Rheingold‹ tut:
   Schau, du Schelm!
   Alles geschmiedet
   Und fertig gefügt,
   Wie ichs befahl!
Der neuere Sprachgebrauch bezeichnet mit unserem Wort vor allem einen Betrüger. »Der Schelm! Der Dieb an seinen Kindern!« ruft Frau Marthe bei der Nachricht über den angeblichen Tod ihres Gatten aus (›Faust‹ I, 2985). Dazu gehört auch das Sprichwort aus dem Oberallgäu: ›Gelegenheit macht Dieb und Schelm‹ und Goethes »Schelmenfabrikant« im ›Egmont‹ (IV, 296). Norwegisch und dänisch ›skjelm‹ und schwedisch ›skälm‹ (Betrüger) sind Lehnworte aus dem Deutschen. Auch Schiller benutzt die Redensart literarisch: »Dein Vater ist zum Schelm an mir geworden« (›Wallensteins Tod‹ 3, 18); Bürger.
   ›Schelm, der mehr gibt, als er hat‹ ist eine heute noch in Österreichisch geläufige Wendung Grillparzer (Werke Bd. 16, S.81) hat sie umgewandelt zu: ›Ein Tor will mehr, als er kann‹. Ein Sprichwort aus dem 17. und 18. Jahrhundert ist: ›Je größer der Schelm, desto besser das Glück‹. Literarisch belegt ist es bei Abraham a Sancta Clara (Lauchert, S.13) und in den ›Teutschen Arien‹ (herausgegeben von Max Pirker, Bd. I, S. 223).
   Wurde im Mittelalter ein Soldat für unehrlich und meist zugleich auch für vogelfrei erklärt, so wurde er zum Schelmen gemacht, was oft mit empfindlichen Strafen verbunden wurde: »Wird einer zu eim Schelmen erkanndt, sol ihn der Züchtiger auf den freyen Platz führen, ime die zween Finger forne abhawen« (Fronsperger, Kriegsbuch 1587, l.13a). Es bedurfte einer eigenen Zeremonie, um einen armen Schelm wieder ehrlich zu machen. Im heutigen Sprachgebrauch ist der entehrende Sinn von Schelm fast gänzlich verschwunden (vgl. Schalk). Thomas Murner verwendet den Ausdruck in seiner Satire ›Schelmenzunft‹ von 1512. Die Bezeichnung des Titelhelden in Chr. Reuters Roman ›Schelmuffsky‹ (1696) zeigt ebenfalls den Übergang an. »Obendrein hat mich ein Schelm von Schneider noch sitzen lassen« (Schiller, ›Kabale und Liebe‹ l, 6). Schließlich kann man mit Schelm heute sogar einen ›armen Teufel‹ bezeichnen, wie es in einem schwäbischen Vers geschieht:
   Wer nix derheiratet und nix dererbt,
   Bleibt ein armer Schelm, bis er sterbt.
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wird Schelm sogar zum Kosewort mit neckischem, schalkhaftem Nebensinn: »Ach du Schelm, so neckst du mich!« ruft der verliebte Faust dem Gretchen zu (›Faust‹ I, 3205). ›Die Liebe ist ein Schelm‹ lautet ein Sprichwort, und man kann nicht nur den Schalk, sondern auch Den Schelm im Nacken haben. So bedeutete auch Schelmerei einst eine ›Spitzbüberei‹ und wandelte seine Bedeutung zu ›Schalkheit‹ und ›Schäkerei‹.
   Genau die gleiche Entwicklung wie der Schelm machte auch dessen Adjektiv Schelmisch durch. Hans Sachs gebraucht es noch in einem Gedicht für verwesendes Fleisch: »Weil aber des beren natur ist, Das er kein schelmisch fleisch nit frist«. In den ›Gesta Romanorum‹ heißt es im Sinne von ›Pesttod‹: »Da chom ein schelmiger tod und nam hin alle sein chneht und dirn«. Später steht das Adjektiv für betrügerisch: »verwickelt ihn in Schlägereien und schelmische Streiche« (Schiller, ›Räuber‹ 2, 3). Schließlich und endlich wandelt sich die Bedeutung zu ›neckisch‹, besonders den verliebten Mädchen gegenüber. Das Schelmenlied(lein) war anfangs ein anstößiges Lied: »Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen ...
aber Schelmenlieder, so viel wir wollen« (›Egmont‹ 1, 1).
   In den Alpengebieten meint man mit Schelmenlieder singen nichts anderes, als ein paar lustige ›Schnadahüpfl‹ zum besten geben.
• E.V. KÜNSSTERG: Rechtsgeschichte und Volkskunde, in: Jahrbuch für historische Volkskunde I (1925), insbesondere S. 106-112; O. HUPP: Scheltbriefe und Schandbilder (1930); W. DANCKERT: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern – München 1963); R.W. BREDNICH, L. RÖHRICH, W. SUPPAN: Handbuch des Volksliedes, Bd. 1 München (1973), S. 189, 624.}
Schelmenzunft‹ (Titelblatt). Titelblatt der ›Schelmenzunft‹ von Thomas Murner, 1512.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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