- Spucke(n)
- Da bleibt mir die Spucke weg!: ich bin äußerst überrascht und erschrocken, es verschlägt mir die Sprache. Die Beobachtung, daß jemandem vor Aufregung und Angst der Mund trocken wird, weil ihm der Speichel fehlt, wurde schon früh gemacht und im Gottesurteil praktisch verwertet. Die Redensarten ›Sich den Mund (die Zunge) verbrennen‹ und ›Der Bissen bleibt mir im Halse stecken‹ gehören in den gleichen Zusammenhang. Wenn dem Schuldigen vor Angst der Mund trocken wurde, gelang es ihm nicht, den ›Probebissen‹ (meist trockenes Brot oder Käse) zu schlucken, weil er nicht genügend eingespeichelt werden konnte. Eine Erzählung vom ›Gericht in der Wüste‹ berichtet von der Entdeckung eines Diebes auf andere Art: Ein Dolch wurde glühend gemacht und dem mutmaßlichen Täter auf die Zunge gelegt. War diese nicht feucht genug, weil die Spucke weggeblieben war, zeigten sich darauf Brandblasen, was normalerweise nicht geschah, wenn es bei einem Unschuldigen versucht wurde.Sich in die Hände spucken: tüchtig arbeiten und zupacken; vgl. französisch ›Se cracher dans les mains‹. Vor großen Anstrengungen ist dies heute noch bei den Arbeitern zu beobachten. Angeblich sollen die Hände dadurch die Werkzeuge besser halten können. Dies gilt vor allem bei Holzstielen von Schaufeln, Spaten, Axt. Hier haftet der sonst so glatte Stiel für einen (entscheidenden) Moment. Eisenwerkzeuge, zum Beispiel Brechstangen werden hingegen nicht bespuckt.Die übertragene Bedeutung tradiert auch ein Schlagerlied der Gegenwart:Und jetzt wird wiederin die Hände gespuckt.Wir steigern dasBruttosozialprodukt.Wahrscheinlich besteht aber auch noch ein Zusammenhang mit dem Volksglauben, daß das Bespucken Segen bringe, da auch das Handgeld (das zuerst am Tage eingenommene Geldstück) von Markthändlern und Taxifahrern bespuckt wird, damit es sich recht vermehrt.Seit der Antike gilt der Speichel als eine Absonderung, die Lebenskraft enthält und deshalb heilend, glückbringend, aber auch zauberabwehrend wirkt. Mit dem Ausspucken vertreibt man die Wirkung des ›bösen Blicks‹ oder den Krankheitsdämon aus dem Körper, davon zeugt noch die berlinerische Redensart ›Spuck aus mein Kind, du hast den Deibl verschluckt!‹ Da man vor Verhaßtem ausspuckte, wurde daraus ein Zeichen der Verachtung und Geringschätzung, eine Geste, die bei uns häufig bei Kindern und Ausländern aus dem Süden zu beobachten ist, während sie von Erwachsenen heute meist als unfein abgelehnt wird. Welche Rolle der Speichel aber früher allgemein spielte, beweisen zahlreiche Redensarten, wie Auf etwas spucken: nichts darauf geben, auf etwas gern verzichten; vgl. französisch ›cracher sur quelque chose‹; Große Bogen spucken: sich viel einbilden oder prahlen.Seeleute haben das Spucken, ursprünglich das Ausspucken des Kautabaksaftes, zu einer regelrechten ›Kunst‹ entwickelt. Ihr entnahm Joan Lowell die Idee zu ihrem Roman ›Ich spucke gegen den Wind‹.In Hamburg hört man die Redensart: ›Spütter di man nich up'n Slips!‹: sei nicht so betulich, gib nicht so an!Jemandem auf den Kopf spucken (können): ihn verachten; vgl. französisch ›cracher à la tête de quelqu'un‹, im Sinne von jemanden derb behandeln, aber auch: größer sein als der andere, ihn um Haupteslänge überragen; berlinerisch ›Er spuckt de Schwäne uf de Köppe‹, er ist ohne Beschäftigung, so daß er Zeit hat, den Schwänen zuzusehen.Einem in die Suppe spucken: einem seine Pläne zunichte machen, seine Hoffnungen gewaltsam zerstören; vgl. französisch ›cracher dans sa soupe‹ (wörtlich: in die eigene Suppe spucken, im Sinne von ›sich zu schade für etwas sein‹).Diese derben Wendungen, die erst im 19. Jahrhundert bezeugt sind, waren ursprünglich wörtlich zu verstehen. Sehr grotesk in der Übertreibung ist die neue Wendung In die Luft spucken und drunter durchlaufen, um auszudrücken, daß Zeit und Gelegenheit zum gründlichen Waschen fehlen; vgl. französisch ›C'est comme si on crachait en l'air‹, im Sinne von: Das ist vergebliche Mühe.›Spuck'n doch uf de Stiebeln!‹, ein berlinerischer Rat, sich nichts gefallen zu lassen.• L. DEUBNER: Artikel ›Speichel‹ und ›spucken‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 149ff. und Spalte 325ff.; L. RÖHRICH u. G. MEINEL: Reste mittelalterlicher Gottesurteile in sprichwörtlichen Redensarten, S. 343.
Das Wörterbuch der Idiome. 2013.